Rezension

Ich bin enttäuscht

Nie gut genug -

Nie gut genug
von Thomas Curran

Bewertet mit 2 Sternen

Zu viel gewollt

Thomas Curran forscht als Psychologe zum Thema Perfektionismus. Er legt ein Buch über das Ergebnis seiner Erkenntnisse vor.
Neben einer interessanten Erläuterung der verschiedenen Arten von Perfektionismus, verweist er auf verschiedene Studienergebnisse, die die negativen Auswirkungen dieser grassierenden Eigenschaft aufzeigen. Es handelt sich nicht mehr nur um eine individuelle Besessenheit, sondern ist zur kulturellen geworden.
Im Moment wird an Korrelation zwischen Perfektionismus und Stress, problematischen Gedankenmustern und gestörter Körperwahrnehmung geforscht. Erste Erkenntnisse dazu sind beunruhigend. Sehr interessant ist das Thema Prokrastination in diesem Zusammenhang. Sie ist eine Ausweichstrategie der Perfektionisten und wohl kein Zeitmanagementproblem. Curren bringt verschiedene Beispiele und erzählt auch von seiner eigenen Erkrankung und Therapie in diesem Zusammenhang.
Dieser Teil ist sehr interessant. Wenn es um den nächsten Schritt, nämlich die Frage, was man dagegen tun kann geht, eröffnet sich die große Schwäche des Buches. Es gibt keine klaren Ideen oder Werkzeuge, wie es auf dem Buchrücken beworben wird. Tatsächlich gibt es eine halbe Seite mit Handlungsideen, die mir zu populärwissenschaftlich sind oder an Kalendersprüche erinnern: fangen Sie bei der Arbeit ein Gespräch mit einem netten Kollegen an, legen sie keinen Filter über das Selfie, die Chefin auf eine Gehaltserhöhung ansprechen usw. Das ist dürftig.
Danach kommt Curren mit Ideen zur Änderung unseres Wirtschaftssystems mit beispielsweise Grundeinkommen und der Forderung, Glück und Wohlergehen statt Wirtschaftswachstums zu priorisieren. Am Ende benennt er alle Jobs, die das Wachstum in Gange halten als bullshit jobs. Zum Schluss gibt er persönliche Statemens zu politischen Richtungen ab.
Was das soll ist mit unklar. Er ist als Sportwissenschaftler und Psychologe nun auch nicht dafür prädestiniert. Einige der Probleme aus dem angloamerikanischen und britischen Berufsalltag, finden sich so in Deutschland nicht wieder. Wir haben einen Arbeits- und Fachkräftemangel, der die Arbeitgeber zu großen Zugeständnissen zwingt. Deshalb sehe ich überbordende Wochenarbeitszeiten vielleicht noch bei Consultingfirmen, aber nicht als grundsätzliches Problem.
Schade, das Buch hat interessant begonnen und dann stark nachgelassen.
Der Autor, selbst am Perfektionismus erkrankt, ist vielleicht zu nah am Thema dran um mit der nötigen wissenschaftlichen Distanz darüber schreiben zu können. Deshalb lastet auf dem gesamten Buch ein depremierender Schleier.
Am kritischten sehe ich, dass der Einband Lösungen verspricht, die nicht kommen. Lt. Curran bräuchte es eine Umkrempelung unseres Wirtschaftssystems. Das hilft wirklich keinem Betroffenen weiter, der nach Hilfe für sich sucht.
Wenn sich das Buch deutlich straffer auf das eigentliche Thema konzentriert hätte und konkrete Lösungsansätze für Betroffene bieten würde, gäbe es von mir 4 Sterne. So kann ich es leider nur mit zwei Sternen bewerten.