Rezension

Im Angesicht der Apokalypse

Der letzte Polizist - Ben Winters

Der letzte Polizist
von Ben Winters

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Mordsbuch! Und das ist durchaus positiv gemeint, falls die fünf Sterne noch kein ausreichender Indikator gewesen sein sollten. Falls uns mal wirklich irgendwann der Himmel auf den Kopf stürzen sollte, werde ich mir dieses Buch noch einmal vornehmen und lesen und dabei hoffen, dass ich genauso stoisch und unerbittlich handeln und denken werde wie Henry Palace, die Hauptperson dieses Romans.
Und wer ist Henry? Er ist Polizist - nicht gerade der letzte auf der Welt, wie der Titel versichert, aber durchaus einer der wenigen, die ihren Job noch ernst nehmen. Oder vielleicht tatsächlich der Letzte, der diesen Job noch ernst nimmt. Die meisten anderen Menschen sind nämlich eher damit beschäftigt zu resignieren oder ihre Löffelliste abzuhaken.
Wie jetzt, ihr wisst nicht, was eine Löffelliste ist? Ich finde, jeder sollte sich eine erstellen, könnte ja jederzeit vorkommen, dass bekannt wird, dass innerhalb der nächsten sechs Monate ein Asteroid auf der Erde einschlägt und ziemlich viel Leben auslöscht.
Jedenfalls ist die Löffelliste eine Liste der Dinge, die man noch zu tun gedenkt, bevor man nach dem Löffel greift.

Einer dachte wohl, er könnte noch ein paar Leute umbringen und damit einen Punkt auf seiner Löffelliste streichen. Und sogar damit durchkommen. Doch nicht, solange Henry Palace noch Polizist ist. Denn Henry, der große, schlaksige Henry, genannt "Stretch", gerade 27 Jahre als und kaum anderthalb Jahre bei der Mordermittlung, kann einen zweifelhaften Selbstmord nicht ruhen lassen. Da können noch so viele Kollegen abwinken und sagen "Lass es sein", sich Staatsanwälte drüber lustig machen, er Ärger mit Gerichtsmedizinerinnen bekommen; da können sich Zeugen weigern, mit ihm zu sprechen, ihn an der Nase herumführen, versuchen, ihn umzubringen. Da kann ein Asteroid drohen, die Menschheit auszulöschen. Was er nicht auslöschen kann, ist Henrys Menschlichkeit, und die verlangt von ihm, dass er seinen Job macht, und dass er ihn verdammt noch einmal gut macht und dem Opfer Gerechtigkeit verschafft.

Seit langer Zeit hat mich ein Buch nicht mehr so fesseln und mitnehmen können. Es liegt nicht allein an der originellen Grundidee - auch die auftauchenden Protagonisten wissen zu überzeugen. Dass Ben Winters es problemlos schafft, nicht nur Henry wie einen Ochsen immer wieder an der Nase herumzuführen - und dass trotz eines ausgezeichneten Gespürs und einer beneidenswerten Beobachtungsgabe -, sondern auch den Leser, schadet dabei überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich habe mich wunderbar unterhalten gefühlt.

Und was ist dieses Buch jetzt? Ein Krimi? Eine Dystopie? Ach, ganz egal: Es ist lesenswert!