Rezension

In der Mitte des Lebens

Die andern sind das weite Meer -

Die andern sind das weite Meer
von Julie von Kessel

Bewertet mit 3.5 Sternen

Als Hans Cramer desorientiert bei seiner Nachbarin vor der Tür steht, lässt sich nicht mehr übersehen, dass er an Demenz erkrankt ist und nicht mehr allein leben kann. Seine erwachsenen Kinder, um die 40 Jahre alt, leben verstreut in verschiedenen Städten; jedes wirkt überzeugt davon, die Geschwister hätten sich nun um Vater Hans zu kümmern. Luka, als Fernsehjournalistin im Ukraine-Krieg eingesetzt, steht unter dem Druck, täglich fehlerlos liefern zu müssen und  dabei wie aus dem Ei gepellt vor der Kamera zu stehen. Hans als Facharzt für Psychiatrie betreibt eine Privatklinik, die sich aktuell als Klotz am Bein zeigt. Das Nesthäkchen Elena, Mutter einer kleinen Tochter, hat sich in eine Situation manövriert, die sie in einer Familie vordergründig erfolgreicher Akademiker nicht auszusprechen wagt. Mit wechselndem Focus auf die beteiligten Personen (die Mutter Maria ist bereits verstorben) entsteht das Bild einer Diplomatenfamilie, in der alte Kränkungen und Traumata den Kindern bis heute die Sprache verschlagen. Sie hatten sich stets der Karriere des Vaters unterzuordnen, der offenbar immer dann besonders lange Arbeitszeiten hatte, wenn seine Familie ihn einmal gebraucht hätte.

Fazit

Die Cramer-Kinder finden sich in belastenden Situationen, die m. A. die Grenzen eines Unterhaltungsroman überschreiten, während Hans nachvollziehbare Lage zwischen hellen Momenten und kompletter Verstörung übererklärt wirkt. Eine Content Note an sensible Leser:innen halte ich hier für angebracht.