Rezension

Jugendliches Selbstmitleid

Fehlstart - Marion Messina

Fehlstart
von Marion Messina

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ein kurzer Roman, der jedoch viel Diskussionspotential birgt. Das Debüt von Marion Messina wird viel gelobt, als Augenöffner, der emotional und wütend die Unmenschlichkeit unserer Systeme anprangert. Wer nicht einstimmt in das Loblied, dem wird unterstellt, er sei Teil des Problems, weil er seine eigenen Privilegien nicht erkenne.

Worum geht es? Aurélie, Abiturientin mit Arbeitereltern, hat in Grenoble ein Jurastudium begonnen. Um sich das zu finanzieren, putzt sie nebenher, so wie auch der 24jährige kolumbianische Austausch-Student Alejandro. Die beiden lernen sich kennen, Aurélie verliebt sich, Alejandro 'genießt' die Bekanntschaft. Beide wissen nicht wirklich was sie wollen, Alejandro trennt sich, Aurélie wirft ihr Studium und geht perspektivenlos nach Paris, wo sie zwar einen Job, aber keine Wohnung findet. 

Ja, in Metropolen ist das Leben teuer. Mit 'Hilfsarbeiterjobs' kann man sich hier kein Leben finanzieren, schon gar keins, dass irgendwie für die Zukunft vorsorgt. Ja, für viele Jobs werden heutzutage viel zu hohe Voraussetzungen angesetzt, die die (Hoch-)Schulabschlüsse entwerten. Ja, als Immigrant fühlt man sich bestimmt fremd in einer anderen Kultur und stellt fest, dass es unsichtbare Barrieren gibt, die man niemals überwinden wird.

Dina Netz schreibt im Kulturbereich beim WDR: "Aurélie, Alejandro und auch Benjamin, mit dem Aurélie sich anfreundet und dessen hochfliegende Studienpläne in einem Job als Pizzafahrer verläppert sind – sie alle sind keine Einzelfiguren, denen es an Biss, an Mut oder an Begabung fehlt. Sie sind Teil einer Generation, Kinder der 90er..."

Da muss ich widersprechen. Ich finde sehr wohl, dass es Aurélie an Biss fehlt, wenn sie ihr Jurastudium (und generell das Studieren) aus Langeweile (nicht etwa, weil sie die Prüfung auch zum wiederholten Male nicht schafft oder so) einfach so aufgibt. Und dass Alejandro seine kulturellen Unterschiede zu den Franzosen als 'biologisch' bezeichnet, und versucht zu erklären, dass sein Körper einfach anders 'funktioniert' unterstreicht auch nicht gerade seinen Mut zur Integration und seine Offenheit der gewählten neuen Heimat gegenüber. Ungeschützter Sex und die Idee, ausrechnet in  Paris (warum nicht gleich New York?) ohne Ausbildung, Plan oder Startkapital glücklich werden zu können, zeugen in meinen Augen ebenfalls eher von Naivität als Mut oder Intelligenz. 

Ich kenne selber solche Fälle, Kinder der 90er, die für ihre Antriebslosigkeit viele Gründe finden - nur keinen bei sich selbst. Das ist sicher ein Problem, aber nicht eines, das vornehmlich in unserer Gesellschaft - die unbenommen viele Ungerechtigkeiten und Probleme birgt - begründet liegt, das glaube ich nicht. Ich habe den Eindruck, das Problem ist, dass man es dieser Generation ZU einfach gemacht hat und sie es nicht gelernt hat, sich selber durchzubeißen und auch mal Verantwortung zu übernehmen. Die Leidtragenden sind letztlich die Eltern dieser Generation (zu denen ich nicht zähle, nur um das klarzustellen), die sich ratlos die Vorwürfe ihrer Kinder anhören müssen, obwohl sie immer nur alles zum Besten ihrer Sprösslinge getan haben.

Eigentlich, weil mich die Rezeption des Buches ärgert, wollte ich nur 2 Sterne geben. Aber da ich wohlwollend unterstelle, dass Messina einfach nur diese von ihr 'verloren' genannte Generation charakterisieren, nicht unbedingt verteidigen wollte (auch wenn einige Kritiker ihr das unterstellen), werden es 2,5.