Rezension

Keine weihnachtliche Wohlfühlgeschichte, aber ein guter Roman

Der Jahrhundertwinter
von Richard Dübell

Bewertet mit 4 Sternen

 Heiligabend 1845 auf Gut Briest, Louise und Alvin erwarten ihren Freund Paul, doch dann erfahren sie, dass sein Zug nicht angekommen ist. Während Alvin und sein Freund Otto von Bismarck einen Suchtrupp organisieren, erzählt Louise ihrem kleinen Sohn Moritz die Geschichte vom „Hirten“, eine jahrhundertealte Legende.

Im „Jahrhundertwinter“ trifft man die Protagonisten aus dem „Jahrhundertsturm“ wieder. Ich habe den Roman bisher noch nicht gelesen, man kann „Jahrhundertwinter“ problemlos ohne Vorkenntnisse lesen, aber sicher ist es für Kenner des „Jahrhundertsturms“ schön, die Charaktere wieder zu treffen.

Die Geschichte splittet sich in zwei Teile. Die Rahmenhandlung um Louise, Alvin und Paul wird auch zwischendurch immer wieder aufgenommen, man erlebt nicht nur Louise beim Erzählen sondern erfährt auch, warum Pauls Zug nicht ankam und was mit den Menschen dort passierte. So wechseln immer wieder die Perspektiven, wodurch sich Spannung aufbauen kann.

Mir hat die Rahmenhandlung besser als die Legende gefallen, die Charaktere wirken authentisch und sympathisch und auch hier ergibt sich ein Abenteuer. Zudem habe ich nun große Lust, den „Jahrhundertsturm“ auch noch zu lesen.

In der Legendenerzählung ist der verbitterte Ritter Rainald mit seinen Kindern zu einem Verbündeten unterwegs, durch einen Wolfsangriff wird sein Pferd so verletzt, dass er es töten muss. Nun zu Fuß unterwegs, die Wölfe im Nacken, ist der vor ihm liegende Weg kaum zu schaffen. Die Familie trifft unterwegs die Klosterfrau Venia, die Rainald beschwört, in die nahe gelegene Stadt Trier zu gehen, doch dort will er nicht hin, warum, erschließt sich erst im Laufe der Handlung.

Die Legende muss man als solche auffassen, man darf nicht jedes Wort ernst nehmen. Im Laufe des Romans wird noch einmal ganz klar daraufhin gewiesen, dass es eine Erzählung ist, die sich durch die Jahrhunderte verändert hat und auch, dass sie metaphorisch zu begreifen ist. Dadurch relativiert sich in meinen Augen auch die Sache mit den Wölfen, die in vielen Rezensionen angesprochen wird. Wölfe jagen keine Menschen, jedenfalls nicht in der Form, wie es hier geschildert wird. Aber, dies ist gar nicht wörtlich gemeint, Louise erklärt das und Richard Dübell auch noch einmal in seinem Nachwort.

Viel schwerwiegender finde ich, dass es die Hirtengeschichte schon als Veröffentlichung gab (so mir bekannt ist, als Ebook-only), was mit keinem Wort, z. B. im Klappentext, erwähnt wird. Nimmt man diesen Part weg, bleibt nur wenig übrig, so dass man die Verkaufspolitik des Verlags und/oder des Autors an dieser Stelle schon kritisieren muss. Für mich, die beide Bücher bisher nicht kannte, nicht so schlimm, für andere sehr ärgerlich.

Dennoch möchte ich das Buch nicht danach beurteilen, sondern danach, wie es mir gefallen, mich unterhalten hat. Und das hat es, ich habe es gerne gelesen, war zwar zwischendurch schon etwas kritisch gestimmt, habe es am Ende aber zufrieden zugeschlagen. Dübell-Fans, die „Der Hirte“ noch nicht kennen, können bedenkenlos zuschlagen. Als Weihnachtsgeschichte ist das Buch nur bedingt zu empfehlen. Wer zu Weihnachten gerne besinnliche Geschichten liest oder einen Heile-Welt-Roman möchte, für den ist der Roman weniger geeignet. Die Handlung spielt in beiden Handlungssträngen zwar an Weihnachten, besinnlich sind die Geschichten, vor allem die Legendenhandlung, jedoch nicht. Allerdings gibt es natürlich schon eine „weihnachtliche“ Moral.