Kinder oder keine - Im Minenfeld von Beziehungen
Bewertet mit 3.5 Sternen
Tara ist Dokumentarfilmerin und erzieht allein eine sechsjährige Tochter. Frauen in ihrer Branche machen die Arbeit, damit auf dem Film-Abspann später die Namen anderer zu lesen sind. In einer Männerdomäne hat sie den täglichen Drahtseilakt zwischen Kindergartenzeiten und Drehterminen bisher mit Unterstützung ihrer Mutter meistern können. Doch wenn beim Auftraggeber das Geld knapp ist, weil Fernsehen durch Streaming-Sehgewohnheiten keine Zukunft mehr hat, steht auch Taras mühsam im Gleichgewicht gehaltener Lebensentwurf infrage.
Camilla (Cam), Feministin und Partnerin eines erheblich jüngeren Mannes, ist aus Überzeugung kinderlos. Ihren Lebensentwurf vermarktet sie erfolgreich als Lifestyle-Bloggerin und Talkshow-Gast. Gelesen werden Cams Texte von Frauen wie Stella, mit Anfang 20 die jüngste der drei Protagonistinnen. Stella arbeitet als Recherche-Assistentin und Antreiberin des Fotografen Jason, der ein Buch veröffentlichen will. Jason sucht dringend eine Partnerin, seine Dating-Strategien sind jedoch zu altmodisch für jene Frauen, die ihn interessieren. Stella lebt die Trauer um ihre jungverstorbene Schwester in den sozialen Medien aus und will unbedingt ein Kind. Wenn die beste Freundin gerade schwanger ist, fällt es schwer, nicht neidisch darauf zu sein.
Berufstätige Mutter, kinderlose Feministin oder psychisch labile Frau mit Kinderwunsch – jede Lebensweise provoziert Widerspruch und verletzt Frauen, die anders leben. Das Leben der Drei scheint ein neidgetriebener Krieg der Mütter gegen Kinderlose, der Berufstätigen gegen Nur-Hausfrauen. In der Generation zwischen 20 und 40 neiden offenbar noch immer Frauen einander das vermeintlich leichtere Leben. Tara sieht sich am Arbeitsplatz und beim Abholen ihrer Tochter vom Kindergarten unter Rechtfertigungszwang und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Tochter und der eigenen Mutter. Dass auch auf die kleine Annie der Druck wirkt, anderen Müttern gefallen zu müssen, hat Tara nicht geahnt, als sie sich für ein Kind und gegen dessen Vater entschied.
Cam riskiert täglich einer ganzen Bevölkerungsgruppe auf den Schlips zu treten, um ihre Follower-Zahlen und damit ihr Einkommen zu halten. Um der Reichweite willen muss sie polarisieren, in ihrer Branche geht es nicht um Inhalte. Als Tara sich einen peinlichen Auftritt in der U-Bahn leistet, der sofort viral geht, kreuzen sich die Wege der Drei. Männer blamieren sich, klopfen den Staub vom Sakko und leben weiter wie zuvor – und Frauen? Plötzlich stehen die drei Lebensentwürfe infrage. Tara scheint zunächst am verletzlichsten, weil sie das Sorgerecht für Annie in Gefahr bringt, aber auch Cam und Stella haben Überraschungen parat. Cam scheint die einzige Person zu sein, die sich nicht auf Taras Kosten in den Shit-Storm einklinkt. Neben den Müttern der Frauen empfand ich gerade Cam als interessante Figur, die Darstellung ihrer Bloggertätigkeitwirkt jedoch als zu unbedarft.
Dawn O’Porters Roman spielt im Jahr 2016 in England und wird von zwei Icherzählerinnen und einer außenstehenden Stimme erzählt. Die drei Protas sind von ihren Herkunftsfamilien stärker geprägt als sie selbst anfangs wahrnehmen wollen - und müssen erkennen, dass sie selbst Teil des Problems sind, unter dem sie zu leiden haben. Wie die drei Frauen ihrem eigenen Klischeedenken zu entkommen versuchen, stellt die englische Autorin so bizarr dar, dass von der Mitte an die Handlung tüchtig Fahrt aufnimmt. Da Porters Protagonistinnen beinahe klischeehafte Lebensentwürfe verkörpern, fand ich die Einführung der Figuren allerdings zu weitschweifig.