Rezension

Krimi + Sozialkritik = ein sehr unterhaltsames, spannendes Buch

Schwarze Lügen - Kirsten Boie

Schwarze Lügen
von Kirsten Boie

Ein farbiges Mädchen, ein ständig betrunkener Stiefvater, ein Bankraub, eine Verwechslung, unerwartete Verbündete und gedankenlose Vorurteile...

Das bietet genug Stoff für einen packenden Jugendkrimi - oder ein sozialkritisches Problembuch. Oder eben beides! Die Mischung macht's, und zwar doppelt so originell und dreimal so spannend. Und man merkt direkt, dass hier eine erfahrene Autorin am Werk ist, die die verschiedenen Handlungsstränge geschickt verwebt.

Kirsten Boie ist aus der Jugendliteratur schon lange nicht mehr wegzudenken. Die Preisträgerin des Deutschen Jugendliteraturpreises schreibt sich quer durch die ganze Bandbreite des Genres: fantasievolle Märchen, Jugendromane über soziale Themen wie Obdachlosigkeit, putzige Schulgeschichten und Bücher über die erste Liebe... Gemein ist ihren Werken, dass die Autorin immer ganz nah am Alltag ihrer jungen Leser bleibt - und auch "Schwarze Lügen" macht da keine Ausnahme.

Denn das Buch lebt vor allem von seinen (nicht nur jugendlichen) Protagonisten, die alle ganz unterschiedlich sind, aber alle auf ihre eigene Weise authentisch, lebendig und glaubhaft. Viele habe ich geliebt, manche zumindest verstanden und wenige nicht ausstehen können - aber kaltgelassen hat mich keiner.

Melody, die Protagonistin, schlägt sich schon ihr ganzes Leben mit Vorurteilen herum, denn sie ist schwarz - schwarz in einem Land voller Weißer, die sie in irgendeiner Form für minderwertig halten: dumm, unverschämt, gewaltbereit... Dabei ist sie schlau und fleißig, und sie spielt Klarinette wie ein musikalisches Wunderkind. Auch ihr Bruder Amadeus rackert sich ab, in der Schule und im Musikunterricht, um den Traum der Mutter vom besseren Leben zu verwirklichen. Und ihre kleine Schwester Soppy ist das süßeste kleine Mädchen, dass ich je in einem Buch gelesen habe... Sie ist so ein niedliches, offenherziges Wesen!

Aber der Alltag der kleinen Familie ist schwierig, nicht nur wegen der ständigen Vorurteile, sondern vor allem wegen ihres versoffenen, selbstsüchtigen Stiefvaters, der die Mutter für sich arbeiten schickt und dem Rest der Familie sonst nur das Leben schwer macht. Als dann auch noch die Bank in ihrem Ort überfallen wird und die Polizei aufgrund von Vorurteilen direkt annimmt, Amadeus sei der Täter, tritt das eine wahre Lawine an Ereignissen los, in deren Verlauf Melody auf der Flucht eine ganze Reihe von Menschen kennenlernt.

Da wäre zum Beispiel Kenneth, der eine Menge Vorurteile mit sich rumträgt, die durch die Begegnung mit Melody ganz schön ins Wanken gebracht werden. Oder Linda, das reiche Politikertöchterchen, das quasi im goldenen Käfig lebt, aber doch eigentlich nur die Zuneigung ihrer Eltern will... Dann haben wir da noch Lindas Opa, einen verbitterten alten Grummel, der seit seiner Erblindung mit dem Leben hadert und nichts und niemanden mehr leiden kann - bis er durch eine Verwechslung Melody begegnet und feststellt, dass das Leben doch noch einiges zu bieten hat. Und nicht zuletzt Lukas, der alles losgestreten hat und nicht einmal versteht, dass sein Egoismus und seine Gedankenlosigkeit Menschenleben kosten könnten...

Im Mittelpunkt der Geschichte steht ganz klar nicht der Bankraub, sondern die Voruteile, mit denen wir Tag für Tag leben: Vorurteile, die wir selber insgeheim hegen, und Vorurteile, die uns entgegengebracht werden. Am deutlichsten sieht man das an Melody, die sich sogar bei der Fahrkartenkontrolle dumme Witze über Schwarzfahren anhören muss... Aber sogar Melody selber hat ihre Vorurteile, denn sie beschließt schon nach der ersten Begegnung, dass Kenneth dumm und ungebildet sein muss, und von Opa Sönnichsen nimmt sie erstmal an, dass jemand mit so viel Kohle keine echten Probleme haben kann. Jeder in diesem Buch hat sein Schubladendenken, und als Leser wird einem schnell klar, dass man sich selber davon auch nicht völlig freisprechen kann.

Aber trotz aller Sozialkritik liest sich das Buch wirkllich unterhaltsam und spannend! Es passiert sehr viel auf den 415 Seiten, da gab es für mich keine langweiligen Passagen. Durch die Krimi-Elemente wirkt das Buch auch nicht so schulmeisterlich und steif, wie das leider bei vielen Jugendbüchern mit ersten Themen der Fall ist.

Am Schreibstil hat mich sehr beeindruckt, dass er immer sehr nah dran ist an den Gedanken der jeweiligen Protagonisten. Er liest sich ungefiltert und wie aus dem Leben gegriffen, und das trägt dazu bei, wie echt und realistisch sich die Geschichte anfühlt - auch wenn die Gedanken oft nicht sehr angenehm sind!

Fazit:
Ein sehr authentisch und eindringlich geschriebenes Jugendbuch über Vorurteile - und einen Bankraub, Kindesentführung und Drogen. Die Mischung aus Krimi und Problembuch hat mich komplett überzeugt, und ich fand es nicht nur für Jugendliche unterhaltsam und spannend zu lesen.