Rezension

Künstlich

Steglitz -

Steglitz
von Inès Bayard

Bewertet mit 2 Sternen

Eine Frau wandert durch Berlins bürgerliches Viertel Steglitz und verliert sich in Traumgespinsten und surrealen Erinnerungen. Wenig ist sicher in diesem Roman: Sie lebt mit dem Architekten Ivan in einer freudlosen Ehe, liebt die Routine, war Zeugin des gewaltsamen Todes ihres Vaters und hat einen Bruder namens Émile. Aber da hören die Gewissheiten auch schon auf.

Kaum mehr Orientierung gibt es in diesem Roman als das Gerüst der Steglitzer Straßennamen, in deren Raster sich Leni bewegt. Sie nehmen viel Raum ein und symbolisieren die Struktur, die die labile Protagonistin offenbar dringend benötigt. Aber weder ist ihr Verhalten mit dem erlittenen Trauma zu erklären, noch gibt es irgendwelche Konsistenzen jenseits ihrer eigenen Person. Die Handlung folgt keiner wahrnehmbaren Logik, Leni treibt durch ihre eigene Geschichte wie ein ankerloses Boot. Alles verschwimmt ineinander, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, und manches ist nichts davon, sondern erinnert an Traumsequenzen. Es geht auch nicht, was man ja vermuten könnte, um die Aufarbeitung ihres Traumas – gewisse Ansätze gibt es, aber auch das ist interpretationsfähig und keineswegs klar. War ich zu Anfang noch fasziniert von der Rätselhaftigkeit des Romans, habe ich ab dem letzten Drittel schließlich das Interesse an der Geschichte und an der Hauptfigur verloren.

Warum?

In diesem Roman packt mich emotional rein gar nichts. Sämtliche Figuren verhalten sich inkonsistent, es entsteht keine Entwicklung und kein Figurencharakter. Folglich kann man mit ihnen nicht in Resonanz gehen, positiv oder negativ, sie bleiben gleichgültig.

Auch sprachlich gefällt mir der Roman überhaupt nicht. Eine unbeholfene Sprache, mit Hang zum Trivialen. Jede Menge schiefe Bilder und grobe Formulierungen, manche Sätze konstruieren Bezüge, die nicht funktionieren und nur verwirren.

Eine Erzähllogik konnte ich ebenso wenig  entdecken. Sehr bald war klar, dass die Autorin nicht die Absicht hat, die von ihr konstruierten Rätsel aufzulösen. Es gibt keine Storyline, dafür viele schrille Szenen, die nicht in die sonstige Dramaturgie zu passen scheinen. Manche Szenen entwickeln in sich eine düstere Kraft und Poesie, es entstehen lebhafte Bilder im Kopf wie Standbilder aus einem Kinofilm, aber das konnte mich mit den vorherrschenden Missklängen nicht versöhnen.

Sicherlich könnte man viel Zeit damit verbringen, all die kunstvollen Bezüge aufzudröseln, die in den kurzen Roman eingearbeitet sind - reale, irreale, surreale und parareale. Assoziationen mit Kafka und David Lynch drängen sich auf, es lassen sich vermutlich weitere finden. Dazu fehlte mir jedoch die Motivation, weil – siehe oben.

Wenn man Freude an experimentellen Texten hat, ist dieser Roman sicher eine Fundgrube. Ich fand ihn in seiner Künstlichkeit enttäuschend.