Rezension

Schwermütig, kryptisch, aber viel Atmosphäre

Steglitz -

Steglitz
von Inès Bayard

Bewertet mit 3 Sternen

Leni Müller lebt mit ihrem Ehemann Iwan im Berliner Stadtteil Steglitz. Er ist angesehener Architekt, der viel im Homeoffice arbeitet und hin und wieder dienstlich unterwegs ist. Sie ist Hausfrau. Schnell wird klar, dass die Ehe nur auf dem Papier besteht, denn von einem liebevollen Miteinander fehlt jede Spur. Spätestens, als Iwan dienstlich für ein Großprojekt nach Rügen reist und erstmals seine Frau nicht mitnehmen will, kann ich mir als Leserin einiges zusammenreimen…

Leni leidet unter Ängsten und braucht dringend einen immer gleichen Tagesablauf, um ihr Leben einigermaßen unter Kontrolle zu haben. Kleinste Störungen bringen sie komplett aus dem Gleichgewicht und rufen Panikattacken hervor. Sie scheint schwer traumatisiert zu sein – so kommt es mir vor.

Als dann Ziegler auf die Bildfläche tritt und angeblich als Kommissar wegen irgendeiner Sache ermittelt, kriselt es erstmals gewaltig bei Leni – so viel Aufregung und Verunsicherung tut ihr nicht gut. Und dann steht plötzlich Lenis zwielichtiger Bruder Emile vor ihr und will sie mit gutem Willen aus ihrer lieblosen Ehe rausholen…

Leni kommt in einer Kneipe unter, wo sie fast rund um die Uhr arbeitet und ein kleines Zimmer hat. Und trinkt. Sie müsste einfach mal in professionelle Hände und ihr Trauma aufarbeiten. Stattdessen scheint es jeder/m egal zu sein, niemand nimmt Notiz an Lenis Problemen. Sie hat keinerlei Freunde und die Familie ist entweder bereits gestorben oder selbst ein seelischer Scherbenhaufen. Einiges kommt im letzten Drittel des Romans ans Tageslicht. Das Trauma wird bekannt und erklärt zumindest Lenis Zustand ansatzweise.

Diese Zustandsbeschreibung einer seelisch kranken Person gelingt der Autorin in ihrem Roman recht gut. Sie schafft mit einigen surrealen Momenten und der Art, wie sie von Leni und ihrem immer gleichen Tagesablauf erzählt, eine recht greifbare Atmosphäre, die vor allem von Hilflosigkeit geprägt ist. Auch wenn ich mich zu keinem Zeitpunkt in eine der Personen wirklich hineinversetzen kann aufgrund einer merkwürdigen Distanziertheit, und obwohl es mir oft schwer fällt zu verstehen, was die Autorin sagen will, und die psychologischen Hintergründe nicht so lupenrein nachzuvollziehen sind, so kann ich am Ende trotzdem sagen, dass der Roman etwas hinterlassen hat: das Gefühl von Einsamkeit und von großer Sehnsucht nach Hilfe und Geborgenheit, nach Ruhe und Liebe dringt zu mir durch.

Insgesamt ein schwermütiger und teils kryptischer Roman. Er hat mich fesseln können, er ist atmosphärisch, aber meiner Meinung nach nicht ganz rund und vollständig. Zu viele Fragezeichen, die das Lesen erschwert haben. Man kann ihn durchaus lesen, aber ich werde zukünftig von Romanen der Autorin Abstand nehmen.