Rezension

Leben mit einem besonderen Kind

Der 47. Puzzlestein
von Carola Seifert

Bewertet mit 5 Sternen

„...Jeder Mensch hat Grenzen und jeder hat Möglichkeiten. Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht und was man daraus macht...“

 

Im Juni 2004 teilt die Frauenärztin der Autorin mit, dass sie wieder schwanger ist. Maximilian, der Nachzügler, ist gerade 3 Jahre alt und die Autorin mittlerweile 39. Deshalb nutzt sie alle diagnostischen Möglichkeiten, um gesundheitliche und genetische Schäden des Ungeborenen auszuschließen. Die Risikowahrscheinlichkeit für eine genetische Anomalie geht gegen Null. Um so härter trifft es sie, als nach der Geburt von Felix Alexander am 9. Februar 2005 bei dem Jungen das Down-Syndrom festgestellt wird.

Die Autorin beschreibt das Familienleben mit Felix bis zu seiner Einschulung im September 2012. Das Buches lässt sich zügig lesen. Das liegt auch an der guten Einteilung und den kurzen Kapiteln. Dadurch hat man als Leser auch die Möglichkeit, häufige Pausen einzubauen, um das Gelesene nachwirken zu lassen oder enthaltene Fakten anderweitig zu vertiefen.

Die Beschreibung des täglichen Lebens ist sehr ehrlich. Die Autorin nennt Erfolge, verschweigt aber nicht die Schwierigkeiten und Rückschläge. Hinzu kommt, dass sie sich nicht allein auf Felix konzentrieren kann, sondern Maximilian, der lebhafte Vierjährige, auch seine Anforderungen stellt und seine Streicheleinheiten braucht. Wie erklärt man einem Kind in diesem Alter, dass sein Bruder manchmal anders reagiert? Das ist der Autorin ausgezeichnet gelungen, denn die Erklärung passt in das Erfahrungsbild eines Kleinkindes.

Viel Wert legt die Autorin auf die gefühlsmäßige Seite des Zusammenlebens. Aus anfänglicher Angst und Unsicherheit wird Liebe. Nicht nur die Unfähigkeiten, sondern auch die besonderen Gaben des Jungen werden hervorgehoben. Trauer und Unverständnis über die Reaktionen der Umwelt fließen in die Geschichte ein. Es gibt tausend Dinge zu beachten, damit Urlaub und Kur wirklich zur Erholung dienen. Am Beispiel von Selina wird deutlich, dass sich Kinder mit dem Down-Syndrom völlig gegensätzlich verhalten können. Jeder hat seine eigene Persönlichkeit. Das drückt ebenfalls das obige Zitat aus.

Das Buch ist aber nicht nur eine Lebensgeschichte, sondern es will gleichzeitig Hilfestellung für Betroffene geben. So erläutert die Autorin, welche Rechte sie als Mutter eines Down-Kinds hat und empfiehlt, diese Rechte auch wahrzunehmen. Sie setzt sich mit Integration und Inklusion auseinander. Gut gefallen hat mir dabei, dass sie als Betroffene Vor- und Nachteile der Förderschule, aber auch alternativer Bildungswege unvoreingenommen gegenüberstellt. Speziell zum Thema Inklusion werden kursiv kurze Ausschnitte aus Fachartikeln zitiert.

Schön finde ich die kursiv eingefügten Gedichte, Sprüche und Lieder, neben denen sich ein Notenherz befindet und die Felix für seine Entwicklung nutzte. Einige Bilder veranschaulichen die gebärdengestützte Kommunikation.

Mehrere Fotos zeigen Felix in verschiedenen Altersstufen. Vordere und hintere Innenseite enthalten Zeichnungen von Felix. Tipps zu weiterführender Literatur vervollständigen das Buch.

Das in Grün gehaltenen Cover mit den Puzzleteilen weckt Interesse.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin geht offen mit den Problemen des Zusammenlebens um und zeigt, dass es in der Gesellschaft noch eine Menge Defizite bei Integration und Inklusion gibt.