Rezension

Lebenslinien

Das Mittwochszimmer - Dagmar Seifert

Das Mittwochszimmer
von Dagmar Seifert

Klappentext:
Für Conny und Vico ist es einfach Liebe, doch ein Stein nach dem anderen wird ihnen in den Weg gelegt: in Form von betuchten Eltern, Standesdünkeln, Verwandten mit längeren Aufenthalten in Strafanstalten, boshaften Rivalinnen. An allen Wochentagen außer Mittwoch. Ein hinreißender Liebesroman, in dem die Frage beantwortet wird, was Liebe eigentlich aus uns macht: blind oder glücklich? Oder beides?

Die Autorin:
Dagmar Seifert war zuerst als freie Journalistin und Redakteurin tätig. Seit 1999 hat sie sechs erfolgreiche Romane veröffentlicht, zudem verfasste sie Kolumnen, Märchen, Radio- Features, Gruselgeschichten, Drehbücher und Theaterstücke, aber auch Sach- und Kochbücher. Dagmar Seifert wohnt und schreibt in der Nähe von Hamburg.

Meine Meinung:
Conny liebt Vico, und das schon seit 43 Jahren. Nun ist sie 60, und der Leser reist mit ihr zusammen zurück in die Vergangenheit, bis hin zu ihrer Geburt.
Diese fand am 1. Januar 1955 statt. Ihre Mutter, Hanne Hertz, die mit Hilfe ihrer beiden Brüder Uwe und Dieter und ohne Mann noch recht jung Mutter wird, liegt auf einem Zimmer mit einer ebenfalls Hochschwangeren, die auch eine Tochter, Conny - später Nele genannt, zur Welt bringt: Cäcilie Schnoor, die mit ihrem Mann eine florierende Gärtnerei betreibt und so ganz anders ist als Hanne.
Die Hertz-Familie hingegen ist arm, hält sich mit Einbrüchen über Wasser und sorgt regelmäßig in der Gegend für üblen Gesprächsstoff.
Die Wege der beiden Frauen trennen sich, bis die Töchter Conny und Nele eingeschult werden - ab diesem Zeitpunkt sind die beiden Freundinnen fürs Leben.
Viele Jahre später dann, während sich Conny mit 17 in den Medizinstudenten Vico verguckt, verliebt sich Nele schon viel früher in den arrogant wirkenden und begabten Damian, der ihre Liebe offenbar erwidert - sehr zum Missfallen seiner Mutter. Für sie ist Nele nur eine dicke Kröte mit Bibergebiss und ohne Esprit.
Und so wird das Dasein der beiden Frauen bis sie 60 sind, begleitet. Es sind Leben voller Liebe, Entbehrungen, Sehnsüchte, Dramen und Selbstfindungen.

"Das Mittwochszimmer" hat mich schwer begeistert. Die Geschichte taucht in alle Facetten des Lebens ein, egal ob arm oder reich, ob verliebt, verlobt oder (nicht) verheiratet. Man begleitet, vor allem Conny, in allen Lebenslagen, und fragt sich einmal mehr, wie lange sie das alles mit Vico noch mitmachen wird. Natürlich, Liebe verschließt die Augen, erschüttert das Herz, lässt Hoffnungen aufleben, trotzdem schwinden die Tage so schnell, deswegen ist es mehr als beklagenswert, wenn die weibliche Hauptfigur so einem Mann über die vielen Jahre hörig ist - der für mich übrigens anfangs interessant wirkte, was aber die Handlung über stetig abnahm, was sicher auch so gewollt war. Conny war viel zu lieb und oft auch naiv. Sie hätte ein ganz anderes Leben haben können.

Wenn man jemandem verfallen ist, sieht man all das wahrscheinlich nicht, was sonst im Alltag tierisch nerven würde. Über Vico konnte ich nur noch den Kopf schütteln. Dauernd dachte ich: "Conny, wach endlich auf! Du bist eine so tolle Frau!"
Mir gefiel die breite Gefühlspalette, besonders auch, dass man über die Familien stetig informiert war, denn von Silvester 1954 bis 2014 erlebte man hautnah die Veränderungen der Zeit, der Figuren und wie sich alle entwickelten, welche Wege sie letztendlich gingen.

Ich musste oft über Miranda lachen, die gar schreckliche Mutter von Damian, die dennoch mit ihren Ansichten und Sprüchen die Lacher auf ihrer Seite hatte. Überhaupt musste ich oft schmunzeln. Es wurde aber auch dramatisch und traurig, denn so ein Leben, egal welches, beherbergt nicht nur Sonnenseiten. So viel ist klar. Und durch eine Liebe, die man nur von einer Seite intensiv spürt, haben die Schatten sowieso Oberhand.

Ich fand den Schreibstil sehr angenehm und bildhaft, auch die Kapitelüberschriften waren originell. Man konnte ahnen, worum es als Nächstes gehen würde, trotzdem hatte man keinen Schimmer, inwieweit die ersten Worte gemeint waren, die den Abschnitt zusammenfassten. Raffiniert.
Auch die Nebenfiguren waren interessant angelegt. ich habe mit jedem gefiebert, gelitten und gelacht. Eine spannende Mischung, die zu einer Gesamtgeschichte verwoben wurde, die einfach mitreißend war.

Alles in allem zeigt "Das Mittwochszimmer", dass man als Geliebte in einer Scheinwelt lebt, weil man nicht loslassen will. Alles ist besser, als für immer verlassen zu werden. Ein Irrtum, denn eine starke Frau hat mehr verdient als so ein Leben in sehnsüchtiger Gefangenschaft.

5 Sterne.