Rezension

Macht Liebe blind?

Das Mittwochszimmer - Dagmar Seifert

Das Mittwochszimmer
von Dagmar Seifert

Bewertet mit 4 Sternen

Unehelich im Hamburger Stadtteil Niendorf geboren und mit zwei kriminellen Onkeln in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, wird Conny von den dort wohnenden reichen Bürgern als Asoziale abgestempelt. Als  sie einem Onkel als Einbruchsgehilfin assistiert und von der Hausherrin - einer wohlhabenden, ungewöhnlichen Frau - ertappt wird, entpuppt sich das für Conny als großes Glück. Die Dame nimmt sie unter ihre Fittiche und unterstützt sie darin, aus dem Milieu herauszukommen. Bereits als Jugendliche verliebt sich Conny in den aus besserem Hause stammenden Vico van Loo. Dieser fügt sich dem Verbot seiner Eltern, Umgang mit Conny zu haben, und heiratet standesgemäß seine Cousine. Das hindert ihn aber nicht, jahrzehntelang eine heimliche Beziehung zu Conny zu unterhalten, immer mittwochnachmittags. Genauso lange hofft Conny, dass Vico  irgendwann sein ihr gegebenes Eheversprechen einhält, und weist andere Heiratskandidaten ab. Wird sie wirklich noch Frau van Loo?

An diesem schönen Roman werden insbesondere die Niendorfer Gefallen finden. Ihnen ist er ja auch gewidmet. Viele bekannte Lokalitäten aus diesem Stadtteil finden Erwähnung, z.B. der Tibarg oder das Niendorfer Gehege. Die Liebe der Autorin zu Hamburg wird auch daran deutlich, dass sie die „einfacher gestrickten“ Romanfiguren breiten Hamburger Dialekt sprechen lässt. Sätze wie „Was brings da? Vonner Frau ausse Villa?“ oder „So kannssu von deine Weiber redn, aber nich von ihr, issas klar?“ sind einfach herrlich zu lesen. Ein weiteres schönes formales Stilmittel sind die Kapitelüberschriften, die jeweils einen kurzen Ausblick auf den nachfolgenden Inhalt geben, z.B. „Im 3. Kapitel trägt Onkel Uwe an schweren Sachen, Conny ein neues Kleid und Damian die Verantwortung“. Die Liebesgeschichte zwischen einem Aschenputtel (das keines bleibt) und einem Prinzen (der jedenfalls charakterlich gar keiner ist) entpuppt sich in ihrem Verlauf immer mehr als einseitige und der Leser verspürt  zusehends vehementer den Wunsch, Conny zu schütteln und sie endlich zur Besinnung zu bringen. Auch in ihrem Umfeld fehlt es nicht an gutmeinenden Menschen, die versuchen, ihr die Augen zu öffnen. Der entscheidende Anstoß ist dann aber ganz anderer Art und soll von mir nicht aufgedeckt werden. Während die Protagonistin recht realistisch dargestellt wird, schwächelt die Geschichte an einigen anderen Figuren, insbesondere der von Connys bester Freundin nebst Ehemann und Schwiegermutter. Deren Lebenssituation empfinde ich als zu exzentrisch und wirklichkeitsfern. Das lässt mich den Roman in der Bewertung etwas zurückstufen, der mir aber dennoch gut gefallen hat.