Rezension

Leid- und kunstvoll

Der Fetzen - Philippe Lançon

Der Fetzen
von Philippe Lançon

Bewertet mit 4 Sternen

Was Philippe Lançon erlebt hat, wünscht man keinem, er hat den Terroranschlag auf Charlie Hebdo überlebt. Er ist Journalist und tut, was Journalisten am besten können: Berichten. Nur ist sein Thema sehr ungewöhnlich und verstörend. 

Unglaublich eloquent erzählt er, wie sich sein Leben durch diesen Anschlag verändert hat, innerlich und äußerlich. Ihm wurde ein Teil des Kiefers weggeschossen, allein das sorgt dafür, dass er nie wieder der Alte werden kann. 

Selten habe ich ein gutes Buch so ungern gelesen. Dieses Buch ist blankes Leid auf gut 500 Seiten, eindringlich, ehrlich, schonungslos. Phillipe Lançon nimmt kein Blatt vor den Mund, schafft es aber, mit Eleganz ekelhafteste Dinge zu beschreiben. Ob nun der Anschlag selbst, seine Krankenhausaufenthalte, körperliche und seelische Befindlichkeiten, er lässt nichts aus und beschönigt nichts. Im Gegenteil, er beschäftigt sich ausführlich mit den kleinsten Details. Man ist ganz nah dran, fast ist man dabei, die Frage ist nur, will man das?
Mit diesem Buch hat Phillipe Lançon einige Preise gewonnen und man versteht schon nach wenigen Zeilen warum. Es ist sehr beeindruckend, wie kunstvoll er von Dingen erzählt, die eigentlich unsagbar sind. 

Auch wenn es höchst kunstvoll ist, war mir das Buch deutlich zu lang. Hier schreibt sich jemand den Frust von der Seele, holt aus, macht viele Exkurse in die Vergangenheit, schildert kluge Gedanken zu unterschiedlichsten Themen. Das hätte man straffen können. 

Dieses Buch ist einzigartig, das kann man ohne Übertreibung behaupten und das ist ein Glück. Woran man hier eindrucksvoll teilhat, möchte niemand erleben. Die Frage ist, ob man das lesen möchte, aber wenn man es lesen möchte, bekommt man es hier in höchst lesenswerter Form präsentiert.  

Kommentare

wandagreen kommentierte am 18. April 2019 um 10:08

Danke. Du hast es geschafft: ich will es lesen. Ich werde es lesen. Manchmal - ist es vllt besser, man überlebt nicht. Aber ich werde ja sehen. Gute Rezi. Wenn es quasi schon schwer ist, zuzuhören (zu lesen)- wie mag es dann erst sein, es zu leben!

Terroristen sind einfach schrecklich. Obwohl sie sicher ihre seelischen Verwirrungen und Verirrungen irgendwo her haben - diese Gehirnwäscher sind die eigentlich Verantwortlichen.