Rezension

Luna und Lara...

Erste Töchter -

Erste Töchter
von Ljuba Arnautovic

Bewertet mit 5 Sternen

... das sind die ersten Töchter von Karl und Nina aus Kursk. Und es ist der dritte Teil einer bewegten Familiengeschichte der Autorin.

Der Einstieg beginnt in einem Wiener Kaffee, wo Dörte aus reichem Münchner Haus den wesentlich älteren, filterlos rauchenden, nicht schönen Mann kennenlernt. Dörte wird Karls dritte, aber nicht letzte Ehefrau werden. Und so wird in den ersten wenigen Sätzen ein Charakter gezeichnet, der sich klar und spröde durch die Jahre zieht.

Karl war 12 Jahre im Gulag, hat dort seine Nina kennengelernt und sie anschließend mit nach Wien genommen. Nina gebar Karl zwei Töchter, konnte aber in der Fremde nicht heimisch werden. Karl hingegen wollte vorwärtskommen, lernte Erika kennen und entzog Nina das Sorgerecht. Nina bleibt in Wien landet bei Grischa zur Untermiete, um ihre Töchter sehen zu können. Doch auch mit Erika hält es Karl nicht lange aus und geht mit Dörte nach München. Beide Mädchen sollen folgen, doch die jüngere Lara wird rebellisch und wird schließlich an Erika vorbei Nina in Wien übergeben. Fortan sind beide Schwestern getrennt und entwickeln sich recht unterschiedlich. Luna erlebt die Studentenunruhen in München fast vor der eigenen Haustür, ist bei der Herausgabe einer Studentenschrift beteiligt, lernt das Leben in Kommunen kennen, während Lara sich früh bindet, heiratet und Kinder bekommt.

Luna, das Alter Ego Ljubas, wie sehr schnell klar wird, macht es sich zur Aufgabe, die Familienchronik festzuhalten, den Wurzeln nachzuspüren. In knappen, fast schon stenografischen Worten nimmt sie sich eine Person nach der anderen vor, hält kurz bei wichtigen Episoden inne (wie die 80stündige Bahnfahrt der Schwester von der Sowjetunion zurück nach Österreich), um dann in rasantem Tempo, ohne Emotionen fortzufahren. Und doch konnte ich in ihren nüchternen Sätzen die ein oder andere Wut, die Erklärungsversuche für Karls, oder aber auch Grischas kaltem Verhalten heraushören, obwohl die Schilderungen gänzlich ohne Wertung auskommen.

Ich las dieses Buch, ohne die Vorgänger zu kennen, geschweige denn sie zu vermissen. Der Schreibstil der Autorin ist sehr ungewöhnlich, emotionslos, sehr gerafft, aber diese Konzentration gefiel mit auf Anhieb und überzeugte mich durch ihre besondere Struktur. Ich bekam eine Ahnung von den Zeiten des Kalten Krieges, vom speziellen Austrofaschismus und von den Prägungen der Menschen durch den Krieg und ihren Folgen.

Ljuba Arnautovic skizziert hier eine besondere Menschengruppe, zerrissen zwischen Kommunismus und Kapitalismus, zwischen Heimaten, Werten und Überzeugungen. Die Autorin hat ihren Weg gefunden und lässt uns Leser daran teilhaben, wertefrei, aber keineswegs gedankenlos. Jeder Satz sitzt und keiner ist zuviel. Schlussfolgerungen liegen allein in der Gedankenarbeit des Lesers. Klasse! Nach viel Sahnetorte, habe ich diese Vollkornstulle voller Inbrunst verspeist.