Rezension

Märchen für Erwachsene?! Na, danke...

Das Kainsmal - Chuck Palahniuk

Das Kainsmal
von Chuck Palahniuk

Bewertet mit 2 Sternen

Ein tiefer, erschütternder Blick in menschliche Abgründe und den Horror des Daseins, in Form der von Freunden und Feinden erzählten Geschichte des kurzen und spektakulären Lebens von Buster Rant Casey.

In diesem Buch wird die Geschichte von Buster "Rant" Casey erzählt, der von Kindesbeinen an den Tod herausfordert. Als einziges Kind seiner Eltern macht er Jagd auf Spinnen, Schlangen und Skorpione, um ihr Gift in seinem Körper zu spüren. Er entwickelt seinen Geruchs- und Geschmackssinn bis zur Perfektion und verblüfft seine Umwelt damit ein ums andere Mal.
Später verlässt er seinen Heimatort, um in die Stadt zu gehen. Dort schließt er sich schnell der Party-Crasher-Szene an - Leuten, die Verfolgungsjagden mit Autos veranstalten und dabei spektakuläre Unfälle provozieren. Hier scheint Rant seine Bestimmung gefunden zu haben, und bald eilt ihm der Ruf als "Engel des Todes" voraus...

Eine der Besonderheiten des Buches ist der ungewöhnliche Erzählstil. In stückweisen Interviewfetzen zeichnet Palahniuk nach und nach das mosaikhafte Bild einer zerrütteten Kindheit, irgendwo im mittleren Westen der USA, später das eines jungen, suchenden Erwachsenenlebens. Da Menschen interviewt werden, die den späteren Verlauf der Geschichte kennen, werden immer wieder zukünftige Ereignisse angerissen, ohne dem Leser jedoch zuviel zu verraten.
Was mir gefallen hat an dem Buch, war zum einen eine besondere Art des Humors, der ab und an aufblitzte, zum anderen aber auch die teils subtile, teils offenkundige Gesellschaftskritik, die dem Autoren in den USA sicher nicht nur Freunde bescheren wird. Auch die gelegentlich eingestreuten, fast schon philosophisch anmutenden Erkenntnisse wie "Vor jedem, dem wir begegnen,sind wir ein anderer Mensch" oder "Die Zukunft, die man morgen hat, wird nicht die Zukunft sein, die man gestern hatte", werten das Buch in meinen Augen auf.

ABER - und dies ist ein großes Aber - selten habe ich mich so schwer getan mit einem Buch und so oft überlegt, ob ich es nicht doch endgültig zuklappen sollte. So lobenswert Fantasie bei einem Autoren auch sein mag - für mich gibt es auch ein Zuviel. Und so gestaltete sich das Buch aus unterschiedlichen Gründen immer wieder als Herausforderung für mich, quasi als "Grenzerfahrung".
So manchesmal wurde bei mir nämlich eine Grenze überschritten. Die Grenze des Ekelhaften beispielsweise - die detaillierte Schilderung bestimmter Szenen (Sextornado, Mittagsschlafpopel oder eine aus dem Schlachthaus aufgepeppte Halloweenparty seien hier stellvertretend genannt) ließen bei mir zu viele Bilder im Kopf entstehen, die wirklich grenzwertig waren. Aber auch die Grenze des Absurden und Denkbaren wurden bei mir erreicht, vor allem gegen Ende. Klar: der Klappentext "Märchen für Erwachsene" deutete schon darauf hin, dass der Autor sich nicht ausschließlich im Reich der Realitäten bewegen würde. Aber wem Einstein schon zu hoch ist mit seiner Relativitätstheorie, dem sei Palahniuk nicht empfohlen...

Vielleicht bin ich das falsche Geschlecht - die positiven Kritiken, die es anderweitig zu dem Buch gibt, stammen fast ausschließlich von Männern. Vielleicht bin ich die falsche Generation - Dystopien sprechen häufig eher jüngere Menschen an, auch wenn das Buch hier ganz sicher keine klassische Dystopie ist. Es lässt sich eher keinem Genre fest zuordnen, es ist einfach - anders.
Aber was es auch ist: ein Märchen für Erwachsene ist es sicherlich auch nicht... Um es mal mit einem der Interviewpartner zu sagen: "Man muss kein Gehirnchirurg sein, um zu erkennen, dass das alles nichts als Schwachsinn ist" (S. 346).

Auch wenn Palahniuk bereits ein Kultstatus zugeschrieben wird: ich weiß ganz sicher, dass es mein erstes und einziges Buch dieses Autoren bleiben wird!