Rezension

Menschenmaterial

Hundepark -

Hundepark
von Sofi Oksanen

Bewertet mit 5 Sternen

Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlangte die Ukraine 1991 sein Selbständigkeit. Befreit vom Joch der russischen Vormundschaft, suchte der junge Staat nach seiner Identität und seine Bürger, einst dort geboren, durch Internierung, oder auf der Suche nach einem höheren Lebensstandard abgewandert, kehrten teilweise in ihre Heimat zurück. So auch die kleine Olenka, deren Vater Ukrainer ist, und bisher an der Grenze zu Finnland das Fenster zum Westen genossen hatte. Nun zeiht sie mit ihrer Familie in das einfache und rückständige Häuschen ihrer Großmutter.
Weder die Großmutter, noch die Mutter sind glücklich mit dieser Situation, nur der Vater versucht sein Glück mit illegalen Geschäften, die im postsowjetischen Land wie Pilze aus dem Boden schießen. Olenka beschließt, so bald sie genug Geld zusammen hat, von dort fortzugehen. Eine Modelkarriere in Paris ist ihr Traum.

Das allerdings erfährt der Leser erst im Rückblick, denn die erwachsene Olenka sitz in einem finnischen Park und beobachtet eine glückliche Familie mit zwei Kindern. Im Park trifft sie, zu ihrem Entsetzen, auf Daria, eine alte Bekannte aus ihrer Kindheit, aber auch aus ihrer beruflichen Zeit als Vermittlerin von Kinderwunschpaaren und Eizellenspenderinnen in der Ukraine. Wie hat Daria sie, die inzwischen ein unauffälliges Leben als Putzkraft in Finnland führt, gefunden und vor allem, was will Daria von ihr?

Dieser spannenden Frage geht der Roman nach und mit jedem Gedanken an ihr bisheriges Leben, erfährt man Details aus Olenkas Familienleben, von den "Geschäften" ihres Vaters, von mafiöser Klankriminalität, dem Mohnanbau der Familien, die ums Überleben kämpfen, aber vor allem vom Aufbau der Reproduktionsindustrie im rechtsfreien Raum des jungen Landes. Es sind die jungen, hübschen Mädchen, die von einer Modelkarriere und den Weg in den Westen träumen und sich dann doch vom großen Geld locken lassen und Eizellenspenderinnen werden. Reiche Paare bedienen sich gern dieser Dienstleistung, können sie doch unter den vermeintlich besten Geenpools ihre Wunschkandidatinnen aussuchen.

Sofi Oksanen gelingt es mit einem spannenden Thrillerplot nicht nur die weitverzweigten Zusammenhänge von Rivalitäten und Abhängigkeiten herauszuarbeiten, sondern bohrt die Schreibfeder hauptsächlich in das Leid der Frauen, die zu Hochleistungsspenderinnen gemacht und damit dem Krebs und Depression ausgeliefert werden. Mit einem präzisen Blick für Ursachen dieses haltlosen Gebarens, flicht Oksanen politische Ereignisse des Landes (Grubenunglücke, Abschuss des malaysischen Flugzeugs) mit in die Geschichte, die ein offenes Ende hat, aber dadurch Raum lässt, dem Anlass dieses Buches noch einmal nachzuspüren.

Aufgerüttelt und erschüttert folgte ich den Rückblicken Olenkas und rechne ihrer Erfinderin, der finnischen Autorin Oksanen, die politische und gesellschaftliche Aktualität, eingebettet in einenr brisanten Verflechtung von Schuld und Rache hoch an. Ein Blick in den Osten Europas, der mich auf mehreren Ebenen überrascht hat.