Rezension

Mit Shakespeare zum Racheplan

Hexensaat - Margaret Atwood

Hexensaat
von Margaret Atwood

Bewertet mit 4.5 Sternen

Felix ist ein begnadeter Theatermacher und in der Szene ein Star. Seine Inszenierungen sind herausfordernd, aufregend, legendär. Nun will er Shakespeares „Der Sturm“ auf die Bühne bringen. Das soll ihn noch berühmter machen – und ihm helfen, eine private Tragödie zu vergessen. Doch nach einer eiskalten Intrige seiner engsten Mitarbeiter zieht sich Felix zurück, verliert sich in Erinnerungen und sinnt auf Rache. Die Gelegenheit kommt zwölf Jahre später, als ein Zufall die Verräter in seine Nähe bringt. In ihrem brillanten Roman schafft die große kanadische Autorin Margaret Atwood mit der Figur des Theaterdirektors Felix ein würdiges Pendant zu Shakespeares Prospero aus „Der Sturm“, jenes Zauberers, der als ein Selbstporträt des alternden Barden aus Stratford-on-Avon gilt. (von der Knaus-Verlagsseite kopiert)

Felix, dem sein Beruf als Theaterregisseur nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter Miranda Mittelpunkt seines Lebens ist, wird bei seiner Arbeit an „Der Sturm“ für ein Theaterfestival ausgebootet. Er verkriecht sich in einem verlassenen Haus auf dem Lande, beobachtet die erfolgreiche Karriere seiner Widersacher aus der Ferne und sinnt auf Rache, die zu seinem einzigen Lebensziel wird. Seine Stunde scheint näher zu rücken, als er in ein Projekt mit Strafgefangenen einsteigt, um ihnen Sprachunterricht zu geben und Stücke nach Wunsch einzuüben. Nach ein paar Jahren Vorlaufzeit und gelungenen Aufführungen wagt er sich an „Der Sturm“.

„Der Sturm“ gehört zu Shakespeares weniger bekannten und gespielten Dramen. Atwood bedient sich der literarischen Vorlage auf dreifache Art: Der Protagonist Felix probt das Stück mit seiner Gefängnis-Theatergruppe, Motive und Charaktere finden sich in der Roman-Handlung, und der Geist des Schauspiels liegt wie ein Raster über dem Geschehen und Felix’ Leben; schon sein Name ist ein Synonym für Prospero (felix - lat. glücklich, prosper – lat. wohlhabend, erfolgreich).
Shakespeares Protagonist lebt mit seiner Tochter Miranda allein auf einer Insel, und auch Felix wird begleitet von seiner Tochter Miranda. Auch wenn sie schon seit Jahren tot ist, fühlt er ihre Gegenwart, spricht mit ihr, „sieht“ sie. Es gelingt Atwood, die Gegenwart der Toten nicht als eine Art Geistererscheinung darzustellen, sondern als Felix’ Überlebensentwurf, den die Leser mit vollziehen können. Ihm ist klar, dass sie nicht mehr lebt, doch er braucht die Vorstellung, dass sie bei ihm ist, um sich in seinem Scheitern und seiner Einsamkeit nicht aufzugeben.

Die Vorbereitung der Rache gehört zu den spannendsten Passagen, denn man kann sich nicht vorstellen, was er ausheckt, um seine Gegner nach so langer Zeit zu bezwingen und wie er dies mit Hilfe eines Trupps hartgesottener Gefängnisinsassen bewerkstelligen kann. Sein Konzept, den Männern die Dramen und ihre einzelnen Rollen nahe zu bringen, könnte Pädagogen, die mit einer lustlosen Schülerschar kämpfen, vor Neid erbleichen lassen.

Nach den ersten Problemchen und Querelen mit der Gruppe läuft alles glatt, zu glatt. Besonders erwähnenswert: Weil „Der Sturm“ mit einem offenen Ende abschließt, lässt Felix seine Schauspieler nach der Premiere die Handlung interpretieren und weiter spinnen. Man glaubt sich in ein Literatur-Seminar an der Universität versetzt, nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die Sprache, in der die Gefangenen ihre Phantasien erzählen. – Hier wie auch in anderen Abschnitten darf man nicht nach der Realität fragen, aber das kann man bei Shakespeare bekanntlich auch nicht.

Die Rache eines zutiefst gekränkten und unglücklichen Mannes, der Tod eines Kindes, verurteilte Straftäter – das klingt nach ernstem, tragischem Buch. Das Gegenteil ist der Fall. Dank Atwoods Humor, ihrem spöttischen Blick auf Klüngeleien in der oberen Etagen der Politik und dem Schuss Selbstironie, mit dem sie Felix und andere Figuren ausstattet.

Sie ist einfach eine gute Autorin und ihre Bücher machen Spaß, „Hexensaat“ ganz besonders.