Rezension

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Moralisches und menschliches Desaster

Wintertöchter -

Wintertöchter
von Mignon Kleinbek

Bewertet mit 2 Sternen

Ich las mich langsam, aber gut unterhalten und gespannt durch die erste Hälfte des Romans. Begleitete die starken Frauen gerne durch die Jahreszeiten. Doch dann kippte es. Plötzlich rutschte die gesamte Geschichte ab. Wurde immer grausamer, weniger nachvollziehbar.

1940: An einem klirrendkalten Winterabend auf dem abgelegenen Julianenhof beginnen Maries Wehen. Sie bekommt ihr Kind. Panisch schickt sie ihren Mann Toni ins Dorf. Hilfe holen. Durch den Schneesturm. Der steile, verschneite Weg wird dem werdenden Vater zum Verhängnis.

Auch ohne Hilfe bringt Marie ein gesundes Kind zur Welt. Anna, ein besonderes Mädchen. Welches als Erbe ihrer Ahninnen eine besondere Gabe in sich trägt. Es besitzt die Fähigkeit das Wesen alles sie Umgebenden zu erschmecken. Sobald sie den Geschmack von Pflanze, Tier oder auch Mensch wahrnimmt, sieht sie die Vergangenheit. Alles was zugrunde liegt und den Charakter ausmacht. Eine mächtige Fähigkeit. Fluch und Geschenk zugleich.

Um das Kind vor sich und den Menschen zu schützen, hüten Mutter und Tante es gut. Lehren das es, mit der Gabe umzugehen. Und so ziehen die Jahre ins Land. Der Krieg zeigt sein grausiges Gesicht. Die Dorfbewohner versuchen über die Runden zu kommen. Und das Mädchen wird zur Frau.

Einstieg in die dreibändige Familiensaga

„Wintertöchter: Die Gabe“ ist der erste Band einer Trilogie. Und der Start dieser Familiensaga nimmt sich Zeit. Wir tauchen tief ein in die Forstau. In das Dorfleben und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Begleiten Anna rund 14 lange Jahre. In denen sie viel von ihrer Tante Barbara lernt. Nicht nur den Umgang mit ihrer Gabe. Auch ihr Heil- und Kräuterwissen teilt die Hebamme mit ihrer Nichte. Noch mehr lernt das Mädchen allerdings durch ihre Visionen.

So las ich mich langsam, aber doch gut unterhalten und gespannt durch die erste Hälfte des Romans. Begleitete die starken Frauen gerne durch die Jahreszeiten. Doch dann kippte es. Plötzlich rutschte die gesamte Geschichte ab. Wurde immer grausamer, weniger nachvollziehbar. Ich empfand die explizite Erzählweise sogar als sadistisch.

Ich las die Seiten immer schneller. Hoffte auf Lichtblicke. Auf Hoffnung. Auf nachvollziehbare Handlungen. Aber es wurde immer schlimmer. Das Ende dieses ersten Bandes lies mich frustriert und gereizt zurück.

Achtung: Ab hier Spoiler und Triggerwarnung!

Der Abwärtstaumel beginnt damit, dass Marie erneut heiratet. Roman, der lustig und freundlich und aufregend ist. Der im Dorf bekannt ist, aber als fahrender Händler nicht dazu gehört. Ein Zigeuner halt. Er schlägt seine Frau. Prügelt ihr das gemeinsame Kind aus dem Leib. Vergewaltigt seine Ziehtochter. Tötet. Und niemand schreitet ein.

Außerdem verstand ich die Protagonistinnen nicht mehr. Hebamme Barbara bleibt dumpf und tatenlos. Die, die sonst immer tatkräftig eingriff. Marie verwandelt sich in einen märtyrerhaften, waidwunden, eifersüchtigen Schatten. Annas Blauäugigkeit war mir zumindest in Ansätzen verständlich. Auch wenn sie nicht wirklich dem Charakter entsprach, der über 200 Seiten lang aufgebaut wurde.

Ja, es mag realistisch sein. Damals hatten Frauen nichts zu sagen. Die meisten Verwandten und Nachbarn mögen weggeschaut haben. Doch irgendwie…, ich möchte nicht in dieser voyeuristischen Präzision darüber lesen. Es zog mich wirklich runter. Lange knabberte ich noch an dem Gelesenen.

Unnötiger Antiziganismus

Neben des moralischen und menschlichen Desasters ärgerte ich mich kolossal über die Besetzung des Bösen in der Geschichte. Das schlagende, kaputte Monster hätte genauso gut ein blonder, strammer Österreicher sein können. Ein von Aberglauben gequälter Einheimischer. Warum muss hier ein Roma positioniert werden?

Wenn die „Besetzung“ des jähzornigen Stiefvaters mit der des jugendlichen Helden (der kurzfristig Hoffnung verbreitet) getauscht wäre – ich wäre mit vielem versöhnt. Könnte mir selbst das Verhalten Dörfler besser erklären. Gegenüber einem Alteingesessenen verschließt man noch viel eher die Augen.

Der erste Band schließt mit einem unfassbaren Cliffhanger. Und auch wenn ich das Buch nach der letzten Zeile in die Ecke pfeffern wollte – ich bin enorm neugierig, wie die Autorin da noch irgendwie die Kurve bekommt. Denn andere Leserinnen sind begeistert.