Rezension

Nervenzerfetzende Spannung

Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich dir - Karine Giebel

Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich dir
von Karine Giebel

Bewertet mit 5 Sternen

Die Hauptrolle in Karine Giebels Thriller spielt Cloé Beauchamp. Eine Protagonistin, die wenig Sympathien weckt. Denn Cloé ist viel zu selbstsicher und eingebildet um sie wirklich zu mögen. Sie ist intelligent, taff, eine Frau die von sich selbst überzeugt ist und  die in ihrer beruflichen Laufbahn schon viel erreicht hat. Sie ist schön, clever, arbeitet in einer Werbeagentur und weiß ihre Reize geschickt einzusetzen. Bei ihren Kollegen ist sie wegen ihre Art allerdings nicht beliebt. Jetzt steht sie kurz davor ihren Chef als seine Nachfolgerin abzulösen, einzig ihr Kollege Philip Martins kämpft mit ihr um die Nachfolge. Cloé ist überzeugt, dass er gegen sie keine Chance haben wird.

Auch privat läuft alles bestens, seit einigen Monaten ist sie mit Betrand liiert. Eines abends wird Cloé von einem Fremden verfolgt, was ihr Angst macht. Ein Gefühl, das ihr völlig fremd ist und sie verunsichert. Sie sieht einen schwarz gekleideten Mann, sein Gesicht ist unkenntlich. Als der Schatten, wie sie ihren Verfolger nennt, immer öfter auftaucht verwandelt sich die selbstsichere Cloé langsam in eine zutiefst verängstigte Frau. Sie meint den Schatten auch in ihrem Haus zu sehen, Dinge werden umgestellt, Bilder vertauscht. Nirgends ist sie mehr sicher vor ihm. Doch weder ihre engste Freundin Carole noch Bertrand glauben ihr, sie sehen in ihr eine Frau die Wahnvorstellungen hat. Die Polizei weigert sich ihre Anzeige aufzunehmen und tätig zu werden, sie hält sie für überspannt. Und auch Cloé zweifelt langsam aber sicher an ihrem Verstand.

Wow, was für ein erstklassiger Thriller! Die Autorin versteht es meisterhaft, ihre Protagonisten zu zeichnen. Man lernt zu Anfang eine selbstsichere Cloé kennen, mit all ihren Eigenschaften, die sie nicht sympathisch machen. Doch nach und nach verändert sich diese Frau. Leise und subtil beschrieben und doch unaufhaltsam erlebt man ihren Niedergang. Wie sich Cloé von einer selbstsicheren Frau zu einem psychischen und körperlichen Wrack verändert.

Karine Giebel versteht es, ein absolutes Gefühl der Beklemmung und Verlassenheit zu erzeugen. Man ist an Cloé und ihren Gefühlen ganz nah dran, erlebt die Panik, die Angst hautnah mit. Die Gefühle Cloé gegenüber änderten sich im Verlauf von Abneigung zu Mitleid und immer wieder hatte ich Zweifel, ob sie sich den Schatten nur einbildet oder ob er tatsächlich existiert. Ich war mir zwar von Anfang an sicher dass der Schatten real ist, habe aber bis fast zum Schluss immer wieder gezweifelt, zu stark waren die Argumente ihrer Freunde oder Psychologen. Ich konnte mir nicht sicher sein. Zumal die Bedrohung nicht körperlich war und sich die Frage stellt, wer ein Interesse daran haben könnte,  Cloé langsam in den Wahnsinn zu treiben. Auch Cloé stellt sich diese Frage und verdächtigt einige Personen, sogar Bertrand zählt zu ihren Verdächtigen, als er sie verlässt.

Die Handlung ist von Anfang an spannend, steigert sich aber im Verlauf zu absoluter Hochspannung. Ich habe Überlegungen angestellt, verworfen, neue Theorien aufgestellt und wieder verworfen. Der Schatten ist einfach nicht zu fassen, ich musste meinen Verdächtigen Nummer Eins von der Liste streichen und habe bis zuletzt nicht geahnt, wer sich hinter dem Schatten verbirgt. Der Plot ist so gut konstruiert, dabei absolut  glaubhaft und nachvollziehbar. Ich habe es genossen diesen spannenden Thriller zu lesen, der die Bezeichnung Thriller wirklich verdient.

Ganz besonders gelungen ist der Schluss, der weder platt ist noch eine saubere Lösung bietet. Aber er lässt die Hoffnung aufkommen, dass der Schatten seine gerechte Strafe noch bekommen wird.

Fazit: "Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich dir" ist einer der besten Thriller die ich dieses Jahr gelesen habe. Spannend, packend, fesselnd, psychologisch überzeugend. Für Thriller Fans ein absolutes MUSS