Rezension

Nettis Familiengeschichte, die mich sehr bewegt hat

Das Mädchen aus Ostpreußen -

Das Mädchen aus Ostpreußen
von Karin Lindberg

Bewertet mit 5 Sternen

Inhaltsangabe:

Lüneburg 1945: Der Krieg hat viele aus ihrer Heimat vertrieben, so wie auch Netti samt Familie, die aus Ostpreußen fliehen mussten. Nach tagelanger Flucht kommen sie endlich in Lüneburg an, aber die Stadt ist hoffnungslos mit Flüchtlingen überfüllt. Nicht nur die vielen Menschen machen Netti zu schaffen, sondern auch der Hunger und die Not, die sich breit gemacht hat. Aber aufgeben, niemals! Dank eines unschönen Zwischenfalls erhält Netti die Chance ihres Lebens: sie soll bei einem englischen Major arbeiten. Leider ist seine Art und Weise ihr gegenüber sehr unfreundlich. Ob sie die Stelle trotzdem behält? Aber nicht nur ihr neuer Arbeitgeber ist abweisend, auch ihre neue Vermieterin ist alles andere als umgänglich.

Lüneburger Heide 1993: Eigentlich wollte Johanna nur zum Geburtstag ihres geliebten Großvaters in ihre alte Heimat reisen, aber kurzerhand hat sie ihre Pläne geändert. Aus dem geplanten Urlaub ist eine überstürzte Flucht geworden, denn in Köln hat sie nicht nur ihren Job gekündigt, sondern auch ihren Freund verlassen. Es gibt nichts mehr was sie dort hält, aber was nun? Erst einmal ablenken und so stürzt Johanna sich in die Geburtstagsvorbereitungen und genau bei diesen entdeckt sie eine Box mit alten Fotos. Bei genaueren betrachten fällt ihr auf, dass nicht ihr Opa abgebildet ist, sondern britische Soldaten. Nur wer sind diese Männer und was hat Netti mit ihnen zu tun gehabt? Johannas Neugierde ist geweckt und so beginnt sie mit ihren Nachforschungen.

 

Nach einigen Buchveröffentlichungen hat Karin Lindberg nun ihr neustes Werk „Das Mädchen aus Ostpreußen“, dass im Februar 2023 bei dem Verlag Tinte und Feder erschien, vorgelegt. Nachdem ich den Klapptext gelesen hatte, war mir sofort klar, dass ich dieses Buch unbedingt lesen muss. 

Der flüssige und leichte Schreibstil hat mich von Beginn an in seinen Bann gezogen. Bereits nach der ersten Seite wollte bzw. konnte ich diesen Roman kaum noch aus den Händen legen. Zu jedem Zeitpunkt musste ich wissen, wie es mit Netti oder Johanna weitergehen wird. Das Karin Lindberg ihr Handwerk versteht, hat sie mit ihrer eindrucksstarken Kulissenbeschreibung von 1945 bewiesen. Authentisch und detailliert hat sie damalige Zeit wieder aufleben lassen und ich als Leserin hatte das Gefühl, hautnah im Geschehen zu sein. Elend, Hunger, Not und allen voran den Überlebungswillen konnte ich förmlich spüren und dieser ging unter die Haut. Dieser Krieg bzw. Nachkriegszeit macht einen immer noch sprachlos und lässt einen wütend zurück. Immer wieder fragt man sich: wie konnte ein Mann soviel Leid und Elend über die Welt bringen! 

Nicht nur mit der damaligen Atmosphäre oder Kulissenbeschreibung kann die Autorin punkten, sondern auch mit ihren facettenreichen Charakteren. Netti, eine starke Frau, die das Wort „aufgeben“ nicht kennte und an eine bessere Zeit glaubt. Walter, der durch seine Kriegsverletzung ebenfalls seine Hoffnungen nie aufgab. Johanna, eine junge Frau, die noch nicht im Leben angekommen ist. Anstatt an sich zu glauben oder gar zu vertrauen, läuft sie davon. Das sind nur drei Hauptfiguren, die ich nennen möchte. Eigentlich ist es egal, welche Person wir hier herausnehmen würde, jede einzelne bereichert durch seine Anwesenheit die Geschichte und macht sie stimmig.

Die Handlung basiert auf zwei Zeitebenen. Die eine spielt um 1945 (Nachkriegszeit) in der die junge Agnes (Netti) und ihre Familie eine Rolle spielt. Karin Lindberg nimmt ihre Leser auf eine sehr bewegende und emotionale Zeitreise mit. Sie schildert die damalige Zeit mit all seinen Widrigkeiten, die diese Menschen erleben mussten. Man fiebert, leidet und freut sich mit ihnen.

Die andere Zeitebene spielt im Jahr 1993 in der Johanna ihre Großeltern besucht. Dort muss sie sich nicht nur ihrer Vergangenheit stellen, sondern sucht auch noch nach dem Sinn ihres Lebens. Zeitgleich begibt sie sich auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Großeltern, die nie über die Nachkriegszeit sprachen.

Karin Lindberg hat es geschafft, diese zwei Zeitzonen perfekt miteinander zu verweben, so dass hier eine brillante und spannende Reise entstehen konnte. Ich könnte jetzt nicht schreiben, welche der beiden Zeitzonen mich mehr fasziniert zurück ließ. Jede war auf ihre eigene Art und Weise bewegend und interessant.

Auch wenn es sich hierbei um eine fiktive Geschichte handelt, so denke ich, dass sie sich bei der einen oder anderen Familie ähnlich abgespielt hat. Für mich war sie sehr realitätsnah dargestellt worden.

 

Das Mädchen aus Ostpreußen ist für mich jetzt schon ein Lese - Highlight 2023. Wer gerne Familienromane, die einen historischen Teil beinhalten, liest, ist hier bestens aufgehoben. Ich kann, nein, ich muss diesen Roman nur weiterempfehlen. 

5 von 5 Sternen!