Rezension

Niemand verschwindet einfach so

Niemand verschwindet einfach so - Catherine Lacey

Niemand verschwindet einfach so
von Catherine Lacey

Bewertet mit 4 Sternen

Elyria tut das, wovon viele träumen, sich aber nie wagen in die Tat umzusetzen: sie verschwindet. Sie setzt sich in einen Flieger und reist von den USA nach Neuseeland. Sie weiß, wovor sie wegläuft, wohin sie will ist schon schwieriger. Zunächst einmal auf die Farm eines Mannes, den sie kennenlernte und der ihr leichtsinnigerweise anbot, bei ihm in der Abgeschiedenheit zu leben und arbeiten. Trampend bestreitet sie den Weg, Gelegenheitsjobs bringen immer wieder ein wenig Geld ein.- Was ihr Ehemann und ihre Mutter machen, interessiert sie nicht, das hat sie hinter sich gelassen. Was sie jedoch nicht zurücklassen kann, ist die Erinnerung, vor allem an ihre Stiefschwester, deren Tod sie nie überwunden hat. In der Ferne sucht sie nach etwas, sich selbst, und sie versucht ihrem alten Ich und all seinen Erinnerungen zu entkommen.

 

Catherine Lacey hat einen ungewöhnlichen Roman geschrieben, der einem direkt packt und mitreißt. Zunächst ist man verwundert über den Mut der Protagonistin, einfach alle Zelte abzubauen und in eine ungewisse Zukunft zu reisen. Dann kommen Zweifel, ob ihr Handeln wirklich durchdacht ist – nein – ob die Suche nach ihrem Selbst so erfolgreich ist – zweifelhaft – ob sie einfach leichtsinnig oder gar verrückt ist – naheliegend. Die Reise ist viel weniger eine Suche denn ein Weglaufen. Sie stellt sich nicht den Dingen, die sie dringend besprechen und bearbeiten müsste. Jede Begegnung mit einem Menschen wird zur Qual, weil sie Fragen zu sich beantworten soll, dabei will sie nichts weniger sein als sie selbst. Aus der mutigen wird plötzlich eine eher feige Frau, die nicht den Schneid hat, ihrem Leben entgegenzutreten.

 

Elyria muss dies im Laufe ihrer Reise erkennen. Hier liegen die besonderen Stärken des Romans. Die Handlung bewegt sich zwischen den Stationen in Neuseeland und den kurzen Episoden des Kontakts mit eigentlich fremden Menschen, zu denen Elyria nie eine Verbindung aufbauen kann, bleibt so recht überschaubar. Spannender und interessanter indes ihre psychische Entwicklung. Nach und nach reift jedoch in ihr die Erkenntnis, dass ihr Ziel verfehlt werden wird:

 

„damals, als ich noch dachte ich hätte herausgefunden, wer ich war und warum ich anscheinend mit dem Leben nicht so gut umgehen konnte, wie andere Leute das taten“ (S. 148) und

 

„Selbst wenn niemand mich je fände, wenn ich den Rest meines Lebens hier verbrächte und für immer verschwunden bliebe, von anderen für vermisst erklärt, könnte ich aus meinem eigenen Leben doch nie verschwinden; ich könnte nie den Verlauf meiner Geschichte löschen, sondern wüsste immer genau, wo ich war und gewesen war (...) das, was ich die ganze Zeit gewollt hatte, vollständig verschwinden, doch eben das würde mir nie gelingen – niemand verschwindet einfach so, niemand hat diesen Luxus je gehabt oder wird ihn je haben“ (S. 160)

 

Sie muss zurückkehren in ihr altes Leben, sich diesem wieder stellen oder etwas ändern, denn weglaufen und verschwinden funktioniert nicht.