Rezension

Pflichtlektüre für Autoren?

Tod eines Kritikers
von Martin Walser

Es ist beinahe zwei Jahrzehnte her, dass Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ ein kleines Erdbeben in den deutschen Feuilletons ausgelöst hat. Lohnt es durch den Abstand vieler Jahre dennoch (oder gerade deshalb), den Roman heute zu lesen?

Manchmal muss man sich beim Lesen eines Buches von allen Vorgeschichten lösen. Zum Beispiel bei Martin Walsers „Der Tod eines Kritikers“. Zugegeben: Um das Buch gab es, als es 2002 erschien, eine riesige und leidenschaftlich geführte Diskussion, in der dem Autor (unter anderem) Antisemitismus vorgeworfen wurde, weil der getötete Kritiker ein von den Nazis verfolgter Jude war und in dem Buch als ziemlich übler Mensch geschildert wird.

 

Hinzu kommt, dass Walsers Buch als Schlüsselroman gesehen wird. Der ermordete Kritiker soll niemand anderes sein als (der 2013 verstorbene TV-Literaturpapst) Marcel Reich-Ranicki. Und dem habe Walser schaden wollen. Ein Racheakt für bitterböse Kritik an Walsers Werken.

Hmpf!

 

Ich schlage vor all dies ebenso zu vergessen wie die weitgehend ausgesprochen merkwürdigen Namen, mit denen Prominente der Literaturszene maskiert wurden. MRR etwa heißt in Anspielung auf Goethes Erlkönig André Ehrl-König… Who-is-who-Interessenten wenden sich am einfachsten an Wikipedia, ich konzentriere mich auf das, was Walser geschrieben hat!

 

Der Roman ist in drei Teile gegliedert. Zunächst erzählt ein Autor namens Michael Landolf vom Mordvorwurf gegen seinen Freund und Kollegen Hans Lach. Dessen letztes Buch wurde in Ehrl-Königs Literatursendung böse verrissen; das Mordmotiv lautet also Rache. Landolf aber will Lachs Unschuld beweisen, dazu recherchiert er in der deutschen Literaturszene. Lach selbst sitzt in der Psychiatrie. Ehrl-König entpuppt sich als machtbesessener Manipulator und Parasit, der - so der Vorwurf - in Wahrheit keine Literaturkritik betreibt, sondern sich (zu Lasten der Schriftsteller) selbst inszeniert.

 

Am Ende des ersten Teils gesteht Lach den Mord, dennoch forscht Landolf weiter. Der zweite Teil endet mit einer Rolle rückwärts: Nachdem Landolf sein Geständnis widerrufen hat, gesteht jemand anderes den Mord, woraufhin der angeblich Ermordete quicklebendig wieder auftaucht. Der dritte und letzte Teil lässt die Realitätsebenen verschwimmen und offenbart, dass Landolf und Lach ein und dieselbe Person sind, was den Roman endgültig zur Farce und/oder Satire macht.

 

Darüber hinaus ist das Buch nur etwa bis zur Hälfte der rund 220 Seiten spannend und vergnüglich, schonungslos und bitterböse. Leider hat Walser aber irgendwann schlicht überdreht und die Kurve seiner eigenen Ansprüche nicht mehr bekommen. Er verheddert sich im Bemühen, sein mühsam errichtetes Spannungskartenhaus allzu spektakulär zum Einsturz zu bringen.

 

Davon abgesehen erzählt das Buch aber auch ausführlich von den Problemen, Sorgen und Nöten mancher (vieler?) Autoren und entlarvt den Literaturbetrieb. Daher sollte jeder, der den Kritiker- oder den Schriftsteller-Beruf anstrebt oder gar ausübt, das Buch als Pflichtlektüre betrachten.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 29. August 2020 um 10:09

Informativ, die Rezi!

MRR mochte Walsers Bücher nicht? dann darf ich erleichtert aufatmen. Ich finde ja, dass Walser einer der schlimmsten Langweiler unter den deutschsprachigen Literaten ist. Und was hier besprochen wird, lässt mich nicht an das Gegenteil glauben.

Aber mit MRR wird der Herr Walser sicher ein bisschen recht haben. Aber nur ein bisschen, denn MRR konnte auch hervorragend schreiben. So ist es also nicht.