Rezension

Poet zwischen den Kulturen und den Erinnerungen

Der Erinnerungsfälscher -

Der Erinnerungsfälscher
von Abbas Khider

Bewertet mit 4.5 Sternen

In seinem Roman „Der Erinnerungsfälscher“ schickt der gebürtige Iraker Abbas Khider seinen Protagonisten Said Al-Wahid auf die Suche nach Erinnerungen, die seinen Lebensweg prägten. Dabei lässt er den Leser bewusst im Unklaren, was von der Erzählung biographisch korrekt und was „erdichtet“ ist.

Der Schriftsteller Said lebt aktuell mit seiner Frau und seinem Sohn in Berlin-Neukölln. Auf einer Dienstreise bekommt er einen Anruf seines Bruders aus dem Irak. Ihre Mutter liegt im Sterben. Sofort fliegt Said nach Bagdad. Zu gerne würde er einmal mit ihr spielen, denn das habe seine Mutter – eine sehr ernste Person - noch nie mit ihm gemacht. Auf der Reise lässt er assoziativ seine Kindheit, seine Flucht und seine Einbürgerung in Deutschland an sich vorbeiziehen. Said stellt insbesondere Begebenheiten aus seinem Leben in den Fokus, die ihn geprägt haben, und die gleichzeitig beispielhaft für Biographien von Flüchtlingen sein können.
Als Leser erhält man dabei einen detaillierten Einblick in den bürokratischen Wahnsinn, mit dem Flüchtlinge in Deutschland zu kämpfen haben, und welchen Vorurteilen sie in der Gesellschaft ausgesetzt sind, nachdem sie bereits einen langen Weg hinter sich haben und - wie in seinem Fall - längst eingebürgert sind.
Durch die Erinnerungen an die Kindheit und an seine irakische Familie wird schnell deutlich, welches Leid er in Bagdad erfahren hat. Dass er niemals mit seiner Mutter gespielt hat, ist eigentlich nur ein Aspekt, der aber sicherlich symbolisch zu verstehen ist. 
Auf dieser Reise wird aber auch klar, wie fremd ihm sein Heimatland geworden ist. Im Irak empfindet er nur „Mauern“ und eine Leere, die er nicht zu füllen vermag. Hierbei fragt er sich (auf einer Metaebene), warum er vieles vergessen hat. So sind einige Erinnerungen nicht unbedingt so geschehen wie beschrieben, denn er leidet unter Gedächtnisstörungen, vermutlich eine Form von Verdrängung traumatischer Erlebnisse. Daher bettet er seine einzelnen Erinnerungen in größere literarische Zusammenhänge.
Entstanden ist dabei ein Roman, der den Leser mit dem Blick eines Geflüchteten auf die zwei Kulturen vertraut macht und gleichzeitig die Zerrissenheit zwischen den einzelnen „Erinnerungsfetzen“ verdeutlicht, die exemplarisch zu verstehen ist.  
Dabei schreibt Khider intensiv, eindringlich und sehr emotional, unter Verwendung einiger beachtlicher Metaphern, ohne dabei ein Wort zu viel zu verlieren. Hier setzt dann auch meine Kritik an, denn an so manchen Stellen hätte ich mir weitere  kleine „Erinnerungsfetzen“ gewünscht. So bleibt es bei einer kurzen poetischen Erzählung, die mich zu berühren vermochte.