Rezension

Poetisch, aber kein Märchen

Kein anderes Meer - Edwidge Danticat

Kein anderes Meer
von Edwidge Danticat

Bewertet mit 4 Sternen

„Poetisch und farbenprächtig: Eine märchenhafte Reise in eine fremde Welt“
Damit wird dieses Buch angekündigt und auf den ersten Seiten kann man durchaus diesen Eindruck bekommen. Wir machen eine Reise nach Haiti, wo die Uhren anders ticken, wo man eng mit dem Meer verbunden lebt und wo alte Legenden mit dem modernen Leben verwoben sind.

Sehr poetisch wird hier geschildert, wie der arme Fischer Nozias in den Slums von Haiti lebt und mit sich und dem Schicksal hadert, weil er nicht sicher ist, ohne seine Frau seine Tochter aufziehen zu können. Sollte er sie weggeben?
Nur lebt Nozias eben nicht in einem Märchen, auch wenn die Landschaft schön ist und das Meer rauscht. Er ist bitterarm. Vielen seiner Nachbarn geht es ähnlich. Sein Töchterlein kann zur Schule gehen, weil sie ein Armenstipendium bekommen hat, vom reichen Schuldirektor, dessen Sohn das Hausmädchen schwängerte und das Weite suchte…

Hier kommen alle zu Wort: Der Schuldirektor, die Lehrerin, das Hausmädchen, ihr Sohn und viele mehr. Das Leben ist ganz und gar nicht märchenhaft, auch wenn alle Schicksale eng miteinander verbunden sind in dieser Gesellschaft, herrschen doch mafiöse Strukturen, gibt es Rachezüge und Blutfehden, weil das Rechtssystem unberechenbar ist. Im Mittelteil fragt man sich, ob sich das Ganze etwa zu einem Thriller entwickelt.

Dieses Buch ist vielleicht eine Reise durch die Schattenseiten Haitis, die dem Leser poetisch die  Mentalität und die Probleme der Bevölkerung aufzeigt. Es ist ein kurzes Buch und lässt einen in das Thema hineinschnuppern, es ist lesenswert, aber ganz sicher kein Märchen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 17. Juli 2020 um 13:36

Wunderbare Rezi. Richtig gut.