Rezension

Realitätsnah, aktuell und spannend

Empfindliche Wahrheit - John le Carré

Empfindliche Wahrheit
von John Le Carré

Bewertet mit 5 Sternen

Zu Beginn brauchte ich etwas Zeit, um mich auf den recht eigenwilligen Schreibstil einzulassen, aber dann entfalteten sich die brisante Spannung sowie der oft ironische Humor und zogen mich in den Bann... Der Roman hat mich sehr beeindruckt, war höchst interessant und bereitete mir eine große Lesefreude.

Carré beschreibt seine Hauptprotagonisten mit viel Sympathie, Wärme und Witz. Zwei britische Diplomaten, an unterschiedlichen Stellen tätig, stehen im Fokus des Romans. Beide sind auf unterschiedliche Weise in eine Geheimaktion zur angeblichen Terroristenbekämpfung involviert, die jedoch aus dem Ruder gelaufen ist und von den Verantwortlichen unter den Teppich gekehrt wird. Die Verantwortlichen sind Diplomaten und Politiker hohen Ranges, private Militärdienstleister und Söldner.
Die beiden Hauptprotagonisten müssen sich entscheiden, was für sie wichtiger ist, die eigene Karriere und vielleicht sogar das eigene Leben oder die Wahrheit und die allgemeinen Menschenrechte?

Carré zeichnet die britische Politik sehr realitätsnah, scharf und kritisch. Die Rolle Großbritanniens im Irakkrieg wird angesprochen. Dieser unrechtmäßige Krieg, der begonnen wurde, obwohl keine Gefahr seitens der (angeblich existierenden) Massenvernichtungswaffen bestand und ohne dass eine tiefe Analyse möglicher Alternativen zum Krieg in Erwägung gezogen wurde.
Die Verquickung des größer werdenden Sektors der privaten Militärdienstleister mit hochrangigen Politikern wird deutlich gemacht. Mit der Folge, dass Krieg zu einer Handelsware wird und sich in Unternehmerhand befindet.
Es wird deutlich, wie das elitäre Diplomaten- und Politikermilieu unter dem Mantel der „nationalen Geheimhaltungspflicht“ gegen Gesetze und auch gegen die Menschenrechte verstoßen kann, ohne dass der Normalbürger davon erfährt. Wie mit Macht, Geld und Beziehungen Straftaten, Verbrechen vertuscht werden können und private Vorteilsnahmen ermöglicht werden. Und wie viel Mut erforderlich ist, aus diesen Reihen auszusteigen und das Wissen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Carré zeigt hier, dass es Menschen gibt, die diesen Mut besitzen und dass nicht alle Verantwortungsträger korrumpierbar sind. Dies im Rahmen der Entscheidungen der Hauptprotagonisten, aber auch im Rahmen seiner Danksagung am Ende des Buches. Hier verweist er auf Carne Ross, einen ehemaligen britischen Diplomaten, der aus dem staatlichen Dienst austrat und 2004 die gemeinnützige Organisation Independent Diplomat gründete. Carré schreibt, ohne dessen Vorbild und mutige Forderungen wäre dieses Buch spürbar ärmer...

Carré nutzt die Form des Romans, und das ist die große Stärke des Werks, um ganz reale Zusammenhänge zu beschreiben. Diese sind sicherlich nicht neu, aber nichtsdestotrotz aktuell. Er regt an, sich tiefer mit diesen zu befassen, gewährt eindrucksvolle Einblicke in das Diplomatendasein und regt an, das eigene politische und moralische Handeln zu hinterfragen.