Rezension

Reif für die Insel?

Die Insel der tausend Leuchttürme -

Die Insel der tausend Leuchttürme
von Walter Moers

Bewertet mit 5 Sternen

Ich hätte da auch schon eine Reisebegleitung, Hildegunst von Mythenmetz, seines Zeichens berühmter Dichter von der Lindwurmfeste. Leider neigt er ein wenig zur Hypochondrie. Doch diesem Umstand verdanken wir vermutlich den Aufenthalt auf der Insel Eydernorn, die für sein ausgezeichnetes Klima und dem Sanatorium für Atemwegserkrankungen bekannt ist. Man sagt, diese Insel habe ihr eigenes Wetter und daran gemahnt auch die ruppige Überfahrt vom Festland. Unannehmlichkeiten bei der Anreise werden durch das spektakuläre Leuchtfeuerwerk der 111 Türme der Insel gemildert. Diesen Signalmasten verdankt das Eiland dann auch seinen Spitznamen, nämlich "Die Insel der tausend Leuchttürme"...

... was natürlich maßlos übertrieben ist, es sind nur wenig mehr als 100, aber hey, wir sind auf Zamonien und dort ist alles etwas anders als erwartet. Einsiedelnde Leuchtturmwärter, die geschwätziger sind als erwartet, Uhren, die hartnäckig die falsche Zeit anzeigen und Hummdudeln, die ihren Wettervorhersagedienst nicht wirklich ernst nehmen. Tja, und dann wäre da noch unser Hildegunst, dem die Anwendungen im Sanatorium eher schaden, als von seiner Stauballergie, die er sich in den Katakomben von Buchhaim zugezogen hat, zu erlösen. Stattdessen erweist sich unsere unsportliche Echse als Kraakenfiekertalent, was hier keine Schmuddelei ist, sondern zu unserem Golfspiel Ähnlichkeiten aufweist, aber unendlich mehr Regeln umfasst. Und dann sind da natürlich auch noch die ausgedehnten Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Insel, angepriesene, wie die Leuchttürme, und tabuisierte, wie die Stadt ohne Türen.
Mit der mythenmetzschen Neugier und Penetranz dauert es dann auch nicht lange, bis wir mitten hinein gezogen werden, in Abenteuer, Geheimnisse und einer katastrophalen Gefahr. Sollte euch vor lauter Angst das Gedächtnis versagen, haben wir die 19 Briefe unseres Reisebegleiters an seinen guten Freund Hachmed ben Kibitzer, die zeichnen ein ziemlich gutes Bild der Ereignisse. Briefgeheimnis? Ach, pfft! Moers schert sich auch nicht darum und hat sie einfach aus dem Zamonischen überstzt und veröffentlicht. Im Gegenteil, wir sollten ihm vielleicht sogar dankbar sein, denn sonst könnten wir Wolken und Eisberge unterschätzen und manche Kreatur der Tiefsee würden wir nicht erkennen, selbst wenn sie auf unserem Speiseteller läge.

Zamonische Literatur macht süchtig. Vorsorglich bemüht sich Moers um eine angemessene Dosierung. Doch die Entzugserscheinungen nehmen mit der Zeit zu, statt ab. Das ist wohl nattifftoffsche Logik. Im Endeffekt stürtzt man sich auf jede Neuerscheinung und inhaliert völlig kritiklos die Druckwerke, kriegt Schnappatmung, wenn Fottfinger versuchen das Buch anzufassen und werden jahrelang Regalmeter für die Neuerscheinungen freigehalten. Dabei hätte man hier schon eine Vorahnung haben können, denn die Hauptfigur Mythenmetz hat uns schon einmal mit einem rauchenden Schutthaufen ins reale Leben entlassen... das liegt vielleicht an seiner Anziehungskraft für wendungsreiche Dramatik und bombastische Finalistik. Ein paar liebgewonnene Nebendarsteller verlieren ihr Leben, doch andere Daseinsformen werden zum Ausgleich einem großen Zuchterfolg unterzogen.

Ich könnte mir vorstellen, dass Moers reale Dinge und Erlebnisse in seine Übersetzungen einfließen lässt, ist der Grat zwischen Erdenwelt und Zamonien stellenweise hauchdünn. Doch vielleicht ist es aber auch Mythenmetz selbst, der hier mit mahnend erhobenen Zeigefinger, seinem Lesepublikum ein möglichts langes Leben bescheren will. What ever! Zamonien forever!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. Januar 2024 um 11:37

Es ist bestimmt eine schlimme Bildungslücke, dass ich Moers gar nicht kenne.
 

Emswashed kommentierte am 20. Januar 2024 um 18:21

Nein, ist es nicht. Moers Zamonienromane sind eher wie eine Droge: besser man kommt erst gar nicht mit ihnen in Kontakt. ;-)