Resümee eines Lebens
Bewertet mit 5 Sternen
„Es geht um den Verlust von Raum, von Bewegungs-Freiheit. Dennoch meine ich nicht, Welt verloren zu haben. Die Erfahrung von einst bereichert mein Gedächtnis“ (Seite 14)
Noch sind mir Härtlings Gedanken zum unbeweglichen Alter fremd, die Erfahrung von einst dagegen wärmt mich, zeugt von Lebendigkeit. Ebenso wie er finde ich Trost in Büchern, gerade in solchen Miniaturen wie hier.
In Härtlings Kindheit gab es einige schwierige Phasen. Geboren am 13. November 1933 in Chemnitz, zog er 1941 um nach Olmütz in Mähren. Mit zehn Jahren wurde er in eine Uniform gesteckt, 1945 floh er mit Mutter, Schwester, Großmutter und Tante Richtung Westen. Am Ende landeten die Familie in Nürtingen, wo die Mutter 1946 mit 35 Jahren Selbstmord beging. Der Vater hatte schon 1945 in russischer Gefangenschaft sein Leben verloren. Den Wegbegleitern, die ihn später prägten, hat er in seinen Erinnerungen ebenso ein Denkmal gesetzt, wie all denen, die ihm beruflich und privat begegnet sind.
Faksimilierte Handschriften, wie zum Beispiel das Gedicht „Wenn jeder eine Blume pflanzte“ lockern den Text auf, erschließen seine Gedankenwelt und erwärmen mein Herz.
Doch auch die Jetztzeit kommt nicht zu kurz. Als Mensch, der von und mit Büchern lebte, beklagt er, dass die Orthografie von 17jährigen zu wünschen übrig lässt. Das nachfolgende Zitat hat mir als Leserin bewusst gemacht, wie sehr mich selbst die Zeit geprägt und mir einen Teil der Lebendigkeit im tiefgehenden Umgang mit Menschen genommen hat:
„Ich sehe zu, wie meine Enkel sich von Smartphone, Laptop, iPod beherrschen lassen, Virtuosen im Umgang mit Cyberbildern, doch unfähig zu einem längeren Gespräch.“ (Seite 64).
Peter Härtling starb am 10. Juli 2017 mit 83 Jahren. Er hat zahlreiche Kinderbücher, Romane und geschichtliche Aufarbeitungen hinterlassen, deren Lektüre sich lohnt.
Kommentare
wandagreen kommentierte am 09. Dezember 2022 um 19:26
Deine Einleitung ist so schön!
Text: Ach je, irgendwann wird es sicher eine Renaissance des Gespächs geben. Muss es einfach.
Ja, solchene Gedanken mag ich auch. DIe alten Romanciers. Die kann man ewig lesen, sie werden nicht alt(backen).
gst kommentierte am 10. Dezember 2022 um 17:41
Manche Bücher treffen einen ganz tief im Inneren und wecken längst verschollen geglaubte Gedanken und Gefühle auf. Das ist für mich ein Grund, meinem SuB mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
wandagreen kommentierte am 11. Dezember 2022 um 08:37
Genau. Wann wollen wir ihn denn ablesen? Im Jenseits? Hier und jetzt ist die richtige Zeit dafür.