Rezension

Resümee eines Lebens

80 -

80
von Peter Härtling

Bewertet mit 5 Sternen

Manchmal bin ich selbst erstaunt, was für Schätze sich unter meinen ungelesenen Büchern befinden. Sie wandern ein und warten geduldig darauf, endlich aufgeschlagen zu werden. So auch Peter Härtlings Büchlein, in dem er auf seine 80jährige Lebenszeit zurückblickt. Da ich selbst noch einige Jahre jünger bin, hatte ich es nicht so eilig mit dem Lesen. Nun hat mich die Lektüre in ein anderes Leben zurückgeführt, in mein eigenes Leben vor bald 30 Jahren. Damals habe ich so einige Bücher von Peter Härtling verschlungen und ihn dann sogar bei einem Seminar über Hölderlin persönlich kennengelernt. Vieles aus dem vorliegenden Buch hat mich daran erinnert und mein Herz höher schlagen lassen. Jetzt weiß ich wieder, was es für ein Geschenk ist, Freude am Lesen zu finden!

„Es geht um den Verlust von Raum, von Bewegungs-Freiheit. Dennoch meine ich nicht, Welt verloren zu haben. Die Erfahrung von einst bereichert mein Gedächtnis“ (Seite 14)
Noch sind mir Härtlings Gedanken zum unbeweglichen Alter fremd, die Erfahrung von einst dagegen wärmt mich, zeugt von Lebendigkeit. Ebenso wie er finde ich Trost in Büchern, gerade in solchen Miniaturen wie hier.
In Härtlings Kindheit gab es einige schwierige Phasen. Geboren am 13. November 1933 in Chemnitz, zog er 1941 um nach Olmütz in Mähren. Mit zehn Jahren wurde er in eine Uniform gesteckt, 1945 floh er mit Mutter, Schwester, Großmutter und Tante Richtung Westen. Am Ende landeten die Familie in Nürtingen, wo die Mutter 1946 mit 35 Jahren Selbstmord beging. Der Vater hatte schon 1945 in russischer Gefangenschaft sein Leben verloren. Den Wegbegleitern, die ihn später prägten, hat er in seinen Erinnerungen ebenso ein Denkmal gesetzt, wie all denen, die ihm beruflich und privat begegnet sind.
Faksimilierte Handschriften, wie zum Beispiel das Gedicht „Wenn jeder eine Blume pflanzte“ lockern den Text auf, erschließen seine Gedankenwelt und erwärmen mein Herz.
Doch auch die Jetztzeit kommt nicht zu kurz. Als Mensch, der von und mit Büchern lebte, beklagt er, dass die Orthografie von 17jährigen zu wünschen übrig lässt. Das nachfolgende Zitat hat mir als  Leserin bewusst gemacht, wie sehr mich selbst die Zeit geprägt und mir einen Teil der Lebendigkeit im tiefgehenden Umgang mit Menschen genommen hat:
„Ich sehe zu, wie meine Enkel sich von Smartphone, Laptop, iPod beherrschen lassen, Virtuosen im Umgang mit Cyberbildern, doch unfähig zu einem längeren Gespräch.“ (Seite 64).

Peter Härtling starb am 10. Juli 2017 mit 83 Jahren. Er hat zahlreiche Kinderbücher, Romane und geschichtliche Aufarbeitungen hinterlassen, deren Lektüre sich lohnt.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 09. Dezember 2022 um 19:26

Deine Einleitung ist so schön!

Text: Ach je, irgendwann wird es sicher eine Renaissance des Gespächs geben. Muss es einfach.

Ja, solchene Gedanken mag ich auch. DIe alten Romanciers. Die kann man ewig lesen, sie werden nicht alt(backen).

gst kommentierte am 10. Dezember 2022 um 17:41

Manche Bücher treffen einen ganz tief im Inneren und wecken längst verschollen geglaubte Gedanken und Gefühle auf. Das ist für mich ein Grund, meinem SuB mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

wandagreen kommentierte am 11. Dezember 2022 um 08:37

Genau. Wann wollen wir ihn denn ablesen? Im Jenseits? Hier und jetzt ist die richtige Zeit dafür.