Rezension

Richtig schön

Die eigensinnige Ärztin - Deeanne Gist

Die eigensinnige Ärztin
von Deeanne Gist

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wir sind schließlich keine barbarischen Männer, sondern zivilisierte Frauen. Und Frauen sind viel zu vernünftig und erfinderisch, um zu brutaler Gewalt zu greifen...“

 

Es ist das Jahr 1893. In Chicago findet die Weltausstellung statt. Gleichzeitig ist dort ein Frauenkongress anberaumt. Eine der Rednerinnen ist Dr. Billy Jack Tate. Leider lassen die Ordnungskräfte niemand mehr in das Haus. Eine Frau zeigt Billy einen möglichen Eingang durch ein Kellerfenster. Dort erwartet sie der Texas Ranger Hunter Scott. Er ist bereit, sie zu den Saal zu bringen.

Die Autorin hat einen fesselnden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Das Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Ein Grund dafür sind die beiden völlig unterschiedlichen Protagonisten. Billy ist stolz auf ihren Beruf. Sie ist Ärztin mit Leib und Seele und bereit, dem ihr Privatleben unterzuordnen. Dabei bekommt sie öfter zu spüren, dass ihr andere ihren Doktortitel nicht glauben. Auch ihre Praxis ist noch ohne Patienten. Deshalb greift sie sofort zu, als ihr eine Stelle bei der Weltausstellung angeboten wird. Hunter ist mit traditionellen Werten aufgewachsen. Eine Frau gehört ins Haus. Es ist Aufgabe des Mannes, sie zu beschützen und zu ernähren. Deshalb hat er immense Probleme, als er sich wegen einer Untersuchung in die Hände von Billy begeben muss. Und dann gibt es noch David, einen neunjährigen Jungen, der als Zeitungsverkäufer bei der Weltausstellung seine Familie ernährt.

Der Schriftstil des Buches wechselt von Situation zu Situation. Ab und an kommt der trockenen Humor der beiden Protagonisten zum Tragen. In ihren Dialogen schenken sie sich nichts. Ihre Annäherung wird sehr behutsam erzählt. Unterschiedliche Standpunkte sorgen bald wieder für Distanz. Ganz anders klingen die Stellen, an deren mich die Autorin mit der Armut in Teilen von Chicago konfrontiert. Das geschieht geschickt bei der Beschreibung des Weges, den Billy und Hunter zum Hull House nehmen. Die Zustände veranlassen Hunter darüber nachzudenken, ob man für den Kinder nicht einen Spielplatz bauen könnte. Wegen des gemeinsamen Ziels kommen sich die Protagonisten näher. Kritisch beleuchtet die Autorin ebenfalls das amerikanische Gerichtssystem. Überfüllte Gefängnisse und die gemeinsame Unterbringung von Kindern und Erwachsenen sind nur zwei Aspekte. Gut werden die Emotionen der Protagonisten wiedergegeben. Das geschieht meist durch Taten, weniger durch Worte. Davids Sorge um den Bruder, Hunters Angst um Billy und Billys Trauer wegen eines ausgesetzten Babys sind nur wenige Beispiele dafür. Ab und an klingt bei Billy auch der Zwiespalt zwischen ihren beruflichen Träumen und den Möglichkeiten einer Heirat an. In Gedanken ist sie dabei ihrer Zeit weit voraus.

Die Anmerkungen der Autorin am Schluss des Buches trennen Fiktion von Fakten.

Das Cover mit der jungen Frau auf der Schaukel zeugt von Lebensfreude.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Der Autorin gelingt es, die Widersprüchlichkeit zwischen Weltausstellung und Armenviertel, aber auch den beginnenden Aufbruch selbstbewusster Frauen in eine spannende Handlung zu integrieren. Außerdem zeigt sie, was möglich ist, wenn zwei Menschen aufeinander zugehen und jeder dabei ein Stück zurücksteckt. Es geht um Toleranz und gegenseitige Achtung.