Rezension

Schonungsloser, nachdenklich stimmender Roman

Unruhe - Zülfü Livaneli

Unruhe
von Zülfü Livaneli

Bewertet mit 4 Sternen

INHALT

Ein aufstrebender Journalist reist aus Istanbul in seine Heimat an die türkisch-syrische Grenze. Dort sucht er nach Spuren eines Freundes und stößt auf die Berichte junger Jesidinnen, die dem IS entkommen konnten. Immer tiefer gerät er in einen Sog aus aktuellen und alten Geschichten, Leidenschaften und Gewalt, der ihn zwingt, seine Herkunft und sein Leben neu zu bewerten.

Als Ibrahim, der in Istanbul ein geschäftiges aber gewöhnliches Leben führt, vom Tod seines Jugendfreundes Hüseyin erfährt, kehrt er zum ersten Mal seit vielen Jahren in ihre gemeinsame Heimatstadt Mardin zurück. Auf den Spuren des Freundes erfährt er von dessen geheimnisvoller Verlobten Meleknaz. Fasziniert von den Berichten über die junge Jesidin taucht er ein in die Mythen und Überlieferungen ihrer Kultur und trifft auf eine Gruppe von Frauen, die aus der Gefangenschaft des IS fliehen konnten.

(Quelle: Klappentext Klett Cotta)

MEINE MEINUNG

Mit „Unruhe“ hat der bekannte türkische Schriftsteller Zülfü Livaneli einen beeindruckenden, gesellschaftskritischen Roman mit einer sehr aktuellen Thematik verfasst. Es ist ein überaus gelungener, unaufgeregt erzählter Roman, der mit seiner emotionalen Geschichte aufrüttelt und den Leser sehr betroffen und nachdenklich zurücklässt.

Angesiedelt ist die Handlung in der Stadt Mardin nahe der türkisch-syrischen Grenze gelegen, wo viele vor dem Islamischen Staat und seinen Gräueltaten geflüchtete Menschen aus Syrien in Flüchtlingslagern untergekommen sind. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der sympathische Ich-Erzähler Ibrahim, ein engagierter Journalist aus Istanbul, der wegen der Beerdigung seines Jugendfreundes Hüseyin nach langer Zeit in ihren Heimatort Mardin zurückkehrt. Wir begleiten ihn auf seiner Spurensuche, die ihn zu früheren Bekannten mit ihren Geschichten führt und alte Erinnerungen in ihm heraufbeschwört. Aus Ibrahims Blickwinkel erleben wir seine fesselnden Nachforschungen zu den mysteriösen Hintergründen des Tods seines Freunds und zu dessen geheimnisvoller Verlobten Meleknaz, einer jungen geflohenen Jesidin mit einem blinden Baby. Sehr eindringlich und einfühlsam beschreibt Livanali in verschiedenen Episoden, wie sehr die jesidische Glaubensgemeinschaft mit Vorurteilen und offenen Anfeindungen selbst im muslimischen Exil durch die Bewohner im Grenzland zu kämpfen hat. Nach und nach lässt der Autor uns in die faszinierenden jesidischen Mythen und befremdlichen Traditionen dieser recht archaischen Kultur eintauchen. Was Ibrahim schließlich aber über die grausame Verfolgung der Jesiden, ihren Massenmord durch den IS und ihr leidvolles Schicksal von einer jesidischen Frau im Flüchtlingslager erfährt, rüttelt ihn auf und lässt auch uns Leser sehr betroffen zurück. Zunehmend beginnt er – konfrontiert mit den dörflichen Mythen und islamischen Traditionen - seinen westlich geprägten Lebensstil und seine bisherigen Überzeugungen zu hinterfragen. Ibrahims obsessive Suche nach Hüseyins verschollener Verlobten wandelt sich immer mehr zu einer eigenen Sinnsuche.

Trotz der eher schweren, schonungslosen Thematik versteht es Zülfü Livaneli mit seinem oftmals blumigen Erzählstil, eine gewisse Leichtigkeit in seine Geschichte zu bringen und dem Leser sein Anliegen nicht belehrend, sondern unterhaltsam und anschaulich zu vermitteln.

FAZIT

Eine schonungslose, nachdenklich stimmende Geschichte über Schmerz, Hass, Verfolgung und Gewalt, aber auch über die versöhnlich stimmende Kraft der Liebe, die bisweilen alle Grenzen überwinden kann.

Sehr lesenswert!