Rezension

Schräges Szenario, das Geduld erfordert

Prophet -

Prophet
von Sin Blaché

Bewertet mit 4 Sternen

Als mitten in der englischen Provinz auf dem Gelände einer Airbase ein amerikanischer Diner gefunden wird und bald darauf weitere sonderbare Objekte, fragen sich die ersten Augenzeugen, ob es sich um eine bisher unbekannte Art der Abbildung handelt. Die Artefakte berühren zwar menschliche Gefühle und Erinnerungen, erfüllen jedoch ihre Funktion nicht. Der Diner ist nicht ans Stromnetz angeschlossen und an Toiletten hat der Entwickler offenbar nicht gedacht. Von den Behörden wird ein exzentrisches Ermittler-Duo an den Fundort entsandt, Adam Rubenstein und Sunil Rao, die ein gemeinsamer Einsatz in Afghanistan verbindet.

Der rund 30jährige Rao fiel schon als Kind mit seiner Begabung für Kim-Spiele auf, arbeitete kurzzeitig als Gutachter für Sotheby’s und gilt als Ausnahmetalent dafür, Lügen zu erkennen. Ein menschlicher Lügendetektor mit Inselbegabung und kurzer militärischer Karriere in der britischen Armee demnach. Raos Stärke zeigt sich darin, dass er sich weder als männlich, weiblich, asiatisch noch europäisch definiert, eine Diversität, die Militär und Geheimdienste offenbar bereits vor der Sache mit dem imaginären Diner geschickt zu nutzen wussten (Stichwort Afghanistan).

Über Adam erfährt man als Leser:in allmählich, dass es zwischen ihm und seinem Vater, einem Berufssoldaten, erhebliches Konfliktpotential um die von Adam erwartete männliche Rolle gab. Adam trägt offenbar ein ungeräumtes Minenfeld mit sich, das seine bisher ungeklärte Beziehung zu Sunil Rao nicht leichter macht.

Das unkonventionelle Paar ermittelt (inzwischen im Auftrag von US-Behörden), dass die Objekte offenbar von Personen geschaffen wurden, die von einer Substanz „Prophet“ beherrscht werden und sich mit den Dingen in die Idylle ihrer Jugend zurückversetzen. Immer wenn Adam und Sunil der Erforschung der Substanz einen Schritt näher kommen, scheint die raffinierte Substanz bereits zwei Schritte weiter zu sein als die Ermittler. Was sie über Prophet herausfinden, erinnert an eine Art Myzel, Flechte oder Schleimiges, etwas, das theoretisch in jedes technische Gerät eindringen und bald die Weltherrschaft anstreben könnte. Die Ermittlungen erweisen sich als so gefährlich wie ekelerregend, wenn mal wieder Blut, Schleim und Tränen fließen.

„Prophet“ würde ich als intelligent formulierten Science-Fiction-Thriller über eine beunruhigende Substanz einordnen, der nicht in der Zukunft spielt. Neben der Aufklärung, wer mit den Artefakten was bezweckt, geht es im Roman um nonbinäre Figuren, ein reformbedürftiges Männerbild und die deprimierende Tatsache, dass Teile der Welt von Menschen regiert werden, die ihrer Kindheit nicht entwachsen sind. Wirkung und Botschaft der Geschichte werden bei jeder lesenden Person unterschiedlich sein. Das macht ihren Reiz aus, und ein größeres Lob kann es m. A. nach für ein Buch nicht geben. Mir hat der Roman nicht alles preisgegeben, was ich über die (weiteren) Figuren gern erfahren hätte, in der Mitte schwächelte die Spannungskurve leicht, in der Summe erlebe ich ihn jedoch als „unerhörte Neuigkeit“, geduldigen Lesern empfohlen.