Rezension

sehr traurige Geschichte, anrührend und packend

Lemonas Geschichte
von Ken Saro-Wiwa

Bewertet mit 5 Sternen

Den Roman „Lemonas Geschichte“ von Ken Saro-Wiwa habe ich durch Zufall bei einer Freundin in ihrem Bücherregal entdeckt. Sie meinte „lies es, aber leider wird es nie wieder einen weiteren Roman von diesem Schriftsteller geben“. Auf der Seite https://de.wikipedia.org/wiki/Ken_Saro-Wiwa kann man einen kleinen Einblick über Leben und Wirken eines außergewöhnlichen Menschen gewinnen, über seine Familie, seinen Kampfgeist.
Lemonas Geschichte hat mich berührt, es wirkt nach. Ein Mann, der über das Leben einer Frau schreibt, und es könnte jede Frau aus jedem Land aus kleinen Verhältnissen gewesen sein, so einfühlsam, dass es einem Tränen in die Augen treibt. Dabei ist und bleibt es auch noch hoch aktuell. Eine Tochter, die von ihrer alleinerziehenden Mutter alles was möglich ist bekommt, Essen, Unterkunft und Schulgeld, und so viel Wissen und Liebe, bis es nicht mehr geht. Es ist ein kleines Dorf in Nigeria, in dem Lemona groß wird, die Sitten und Gebräuche liebt und schätzt. Doch: Lemona wird in die große Stadt verkauft. Hier kamen mir die Schwabenkinder (https://de.wikipedia.org/wiki/Schwabenkinder) in den Sinn, die es lange Zeit bei uns gegeben hat. Lemona möchte so gerne die Schule besuchen, aber Schulgeld, Uniform, das alles ist zu viel für die Mutter. Guten Glaubens gibt sie sie weiter, auf Empfehlung des Lehrers. Statt Schule muss das junge Mädchen unbezahlt als Kindermädchen und Dienstmagd arbeiten. Es geht lange gut, bis der Hausherr sich über sie her macht, Lemona sich nicht wehrt, sich nicht wehren kann. Bis die Ehefrau es eines Tages herausfindet und sie verjagt. Nun beginnt etwas, das Lemona ein Leben lang begleitet: was auch passiert, immer ist jemand da, der sie aufnimmt. Als erster die Friseuse auf dem Markt, bei der sie sich immer die Haare machen ließ, und bei der sie wohnen und arbeiten kann. Hier lernt sie später eine vermeintliche Freundin kennen, die sie ausnutzt, um mit ihrer Hilfe aus guten Geschäftsverbindungen Kasse machen kann. Denn Lemona ist eine Schönheit. Für einen Liebhaber verlässt sie die Freundin, der ihr eine Wohnung bezahlt, bis auch diese Verbindung aufs elendste zerbricht. Der Liebhaber nimmt ihr alles: ihr Freund bezahlt mit seinem Leben, sie wird aus der Wohnung geschmissen und wird im Hotel beklaut, sodass ihr absolut nichts mehr bleibt. Und in dieser Situation trifft sie einen weiteren Menschen, der für sie nur Gutes bedeutet. John, einen Engländer, der bereits Kontakt zu anderen Nigerianern in seiner Heimat hatte. Nun, nach vielen Jahren im Dienst der Krone, wird Nigeria unabhängig und er überlegt, nach Hause zu gehen. Doch zunächst bedeutet John die große Liebe für Lemona. Und nur ihre Eifersucht und ein Wutausbruch lässt sie dazu verleiten, ein Messer nach ihm zu werfen. Was folgt, ist ein Drama in Zeiten des Übergangs zur Unabhängigkeit Nigerias. Und auch ihre Zeit im Gefängnis ist eine Zeit der Abhängigkeit für Lemona. Ein Kind entsteht. Nach einem Vierteljahrhundert kommt sie frei, doch nur für kurze Zeit. Wieder gibt es Tote, wieder wird ihr die Schuld daran gegeben. Am Tag vor ihrer Hinrichtung bekommt sie Besuch von einer jungen Frau, der sie ihr Leben erzählt.
Das Einfühlungsvermögen des Schriftstellers in das Leben einer Frau, das wünsche ich mir dieser Tage mehr denn je von Herrschern dieser Welt. Nur ein bisschen davon würde unsere Welt anders aussehen lassen. Der Schreibstil und die Zusammenhänge der Figuren im Buch, wie sie dramaturgisch dem Finale entgegenstreben hat etwas von einem Thriller. Das tragische Ende von Lemona ist auch das tragische Ende des Schriftstellers. Er wird nach einem fingierten Prozess hingerichtet. Dieses Werk ist das letzte Buch von ihm gewesen.
Unbedingt lesen! Und ich denke, ich mache mich auf die Suche, nach anderen Werken von Ken Saro-Wiwa.