Rezension

Selke, Stefan - Schamland. Die Armut mitten unter uns.

Schamland - Stefan Selke

Schamland
von Stefan Selke

Bewertet mit 4 Sternen

Autorenportrait:

(Quelle: Buchcover/Verlag)
Stefan Selke, 1967 geboren, ist Professor an der Hochschule Furtwangen mit dem Lehrgebiet "Gesellschaftlicher Wandel". Im Rahmen seiner Feldforschungen beschäftigt er sich seit 2006 mit der modernen Armenspeisungen in Suppenküchen und bei Tafeln. Er ist Mitgründer des "Kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln" und als Tafelforscher und öffentlicher Soziologe ein begehrter Gesprächspartner in den Medien.

Kurzbeschreibung:
(Quelle: Buchcover/Verlag)
Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Trotzdem muss jeder Siebte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen. Der Soziologe Stefan Selke reiste jahrelang durchs Land, um mit Betroffenen zu sprechen. Er traf ehemals erfolgreiche Geschäftsleute, die beschämt bei einer Lebensmittelausgabe im Nachbarort Schlange stehen, damit sie nicht erkannt werden. Verarmte Witwen, die beim Arzt um Medikamente betteln oder fürchten, geborgte 3 Euro nicht zurückzahlen zu können. Menschen, die mit über 50 nicht mal eine Stelle zum Putzen bekommen und vereinsamen, weil kein Euro übrig ist für Hobbies oder ein Treffen mit Freunden.

Selke kritisiert, dass die Politik den Sozialstaat immer mehr beschneidet und dessen im Grundgesetz verankerte Aufgaben an ehrenamtliche und private Organisationen delegiert. Tafeln, Suppenküchen, Kleiderkammern und Co. wurden so zum Motor einer neuen Armutsökonomie. Während die Mildtätigen sich selbst feiern, werden die Empfänger zu Menschen zweiter Klasse degradiert.
Im Herzstück des Buches verdichtet Selke die in vielen Interviews gesammelte Aussagen zu einer kritischen Bestandsaufnahme des Lebens im Schamland. In unter die Haut gehenden Szenen berichten die Betroffenen, was das Leben in Armut und als Bittsteller mit ihnen macht Zum ersten Mal bekommen diejenigen, die sich sonst schamhaft verstecken, eine kraftvolle und nicht mehr zu überhörende Stimme.

Meine Meinung:

Das Buch von Stefan Selke lässt sich gut lesen: obwohl es auf wissenschaftlichen Ergebnissen seiner jahrelanger Forschung auf dem Gebiet "Gesellschaftlicher Wandel", speziell - die soziale Entwicklung eines der reichsten Ländern der Welt in der letzten Jahren in Bezug auf das Leben der Menschen, die unter dem Existenzminimum leben müssen, basiert, ist das Buch keine trockene Kost. Es ist leicht verständlich und für jeden gut nachvollziehbar.

Ab besten bringt der Autor selbst auf den Punk, um was es sich bei diesem Bericht handelt. Er sagt, dass "Armut und Reichtum ebenso emotionale Zustände sind, die auf subjektiven Wahrnehmungen basieren" und nicht nur auf Zahlen, die das reale Lebensgefühl und Existenzformen nur unzureichend sichtbar machen. "Gerade die subjektiven Komponente der Armut sind das Thema dieses Buches."

Ganz speziell das Scham Gefühl, dass alle Betroffene verbindet.
"Scham - die Angst vor der Geringschätzung durch andere - ist eine sehr grundlegende und starke Emotion."Das Gefühl bei den Betroffenen "nicht mehr mithalten zu können" löst Scham aus. Verstärkt durch den allgegenwärtigen Erfolgs- und Leistungsdruck. Menschen, die trotz zahlreicher Bemühungen keine Arbeit mehr finden, fragen sich beinahe zwangsläufig: Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort, die immer öfter auch von außen suggeriert wird, lautet: Jeder ist selbst schuld an seiner Situation. Jeder, der Hilfeleistungen benötigt und in Anspruch nimmt, "bezahlt" dies mit seiner persönlichen Scham und einer an sich selbst gerichteten Schuldzuweisung."

Zu dem Leben an der Grenze des Existenzminimums konnten unterschiedliche Gründe geführt haben: Menschen, die alles verloren haben, und den Einstieg ins Berufsleben nicht mehr finden konnten, Menschen, die durch eine Erkrankung aus dem gesellschaftlichen Leben herausgerissen wurde, Menschen, die älter sind (und dazu zählen auf dem heutigen Arbeitsmarkt schon diejenigen, die erst 50 sind), Rentner und viele andere. In den meisten Fällen steckt wohl kaum eigenes Verschulden dahinter.

Anhand der zahlreichen Beispielen lässt der Autor den Leser in die Welt dieser Menschen blicken. Bewegende, resignierte, schamvolle und sehr emotionale Geschichten werden ihm auf seinen Reisen durch das Land mit dem Ziel die Betroffenen kennenzulernen, erzählt.

Das Buch bietet scharfsinnige Beobachtungen, anschauliche Fakten und sozialkritischen Gedanken zu dem Thema. Zum Beispiel betrachtet Stefan Selke die Tafeln, Suppenküchen, Kleiderkammern und Co., die einen gewissen Ansehen in unserer Gesellschaft genießen, und eher als positiv, hilfreich und notwendig erscheinen, aus einem eher weniger geläufigen Blickwinkel und lässt die Leser nachdenklich zurück.

Kalt lässt das Buch von Stefan Selke auf jeden Fall nicht. Er spricht einige Aspekte unserer Gesellschaft an, die man vielleicht so noch nicht gesehen hat und somit denke ich, hat er auch eins der Ziele seines Vorhaben sicher erreicht. Das "Schamland" stimmt nachdenklich. Es wäre wünschenswert, dass das Buch viele Leser erreicht, für Diskussionen sorgt, nicht nur in Fachkreisen. So dass es vielleicht auch die Unterhaltung über die Lösungsmöglichkeiten entsteht und nicht nur über die Missstände, die gegenwärtig in dem Land herrschen.
Das Buch ist in überschaubare Kapitel eingeteilt und verfügt über einen ausführlichen Anhang mit Anmerkungen zu den zahlreichen Fußnoten.