Rezension

Sich seiner Identität besinnen und sich mit der Kraft des Heiligen gegen die Verzweiflung stemmen!

Auf der Lichtung - Aharon Appelfeld

Auf der Lichtung
von Aharon Appelfeld

Bewertet mit 5 Sternen

Romane über den Holocaust finde ich schwierig, bedenklich sogar, falls es den Autoren darum ginge, Profit zu schlagen aus dem größten und unglaublichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit des 20. Jahrhunderts. Doch darum geht es Aharon Appelfeld ganz sicher nicht: denn er ist Betroffener und als solcher schreibt er, auch fiktiv, so dass man es (noch) ertragen kann, Romane als Zeitzeugnisse. So spannend mitgenommen in diese Zeit, wie er es vermag, wird seine Literatur hoffentlich zu einem Mahnmal auch in den Köpfen der Jugend werden. Appelfeld ist ein Autor, den ich leider spät entdeckte, den man aber unbedingt lesen sollte!

Der spannende Roman Appelfelds „Auf der Lichtung“ lässt mich erst einmal nachdenklich zurück. Wie soll ich diesen Roman literarisch werten? Gefallen hat er mir. Er hat mir Spaß gemacht, er hat mir jüdisches Denken nahe gebracht, äh, halt, hat er das? Oder hat er mir nur eine Illusion von idealistisch überhöhter Kameradschaft vorgegaukelt?

Einigen jüdischen Männern und wenigen Frauen und zwei Kindern ist die Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung gelungen; die meisten standen dicht vor der Deportation; sie waren jung und energisch genug, im letzten Moment zu entkommen, haben ihre Eltern und ihre Geschwister zurückgelassen, die nun ohne sie in den Tod gehen. Ist es ethisch vertretbar, fragen sie sich, von Schuldgefühlen gequält, das eigene Leben zu retten und seine Lieben im Stich zu lassen?

„Klar doch. Du hättest nichts tun können“, flüstere ich einem jedem von ihnen zu. Sie hören mich nicht, versinken in Depressionen auf ihrem Berg, auf den sie sich zurückgezogen haben, im tiefen Berscht, im Wald, von wo aus sie Raubzüge unternehmen, um sich über die Runden zu bringen und von wo aus sie erfolgreich einen Todeszug überfallen und weitere Juden retten können. Denn „einfach Überleben um jeden Preis“ verträgt sich nicht mit der Ethik, die ihr charismatischer Anführer Kamil sie in den Abendstunden anhand alter Schriften lehrt, es verträgt sich nicht mit der jüdischen Identität, die sie fast alle in den Zeiten friedlicher Assimilation verloren haben, und nun, als Verfolgte, mühsam den alten Traditionen wieder entreißen müssen, denn wo wäre sonst ein Sinn zu finden im Standhalten gegen die Besessenheit, mit der die Deutschen die  Judenvernichtung betreiben?

Die Lehre des Heiligen sichert die jüdische Existenz. Indem man sie abruft, also im Praktizieren (Lesen, Singen, Beten, Studieren, Einhalten der Riten), werden die Bilder der Verlorenen aufgehoben und lebendig. Dabei kommt es nicht in erster Linie auf Glauben und Verständnis an, das intuitive Ergreifen reicht aus. Das Heilige, das Große muss wieder zurück in die Köpfe, prägt Kamil seinen Leuten ein, denn nur das Heilige ist imstande der Verzweiflung standzuhalten. „Die Verzweiflung ist unser größter Feind. Sie macht uns blind und verschließt unsere Seelen. Man darf sie nicht in sich eindringen lassen.“

Es schlägt sich eigenes Erleben im Roman Appelfelds nieder: ... „[Erwin Appelfeld] flieht aus dem Lager. Er ist jetzt, 1941, neuneinhalb Jahre alt und lebt in den nächsten Jahren in den ukrainischen Steppen und Wäldern, zwischendurch kann er bei einer Prostituierten bleiben und bei einem alten, blinden Bauer, in den Wäldern lebte er zeitweise bei einer kriminellen Gruppe von Räubern, die gut zu ihm waren und denen er half .Hier lernte er zu überleben. Später, nach der Befreiung durch russische Truppen, ist er Laufbursche bei der Roten Armee.“ (Thomas Reichert in: Aharon Appelfeld und seine Buber-Rezeption in dem Roman „Auf der Lichtung“).

Dieser Roman ist geschrieben und aufgebaut wie ein Abenteuerroman, darum, und durch die nüchterne, klare, emotionsarme Sprache, gleichwohl mit starken Bildern, wird der Schlag des Holocaust abgemildert, leserverträglich. Oft ist Appelfeld lakonisch. „Nur die Soldaten der Roten Armee waren munter und energisch. Keine junge, gesunde Frau entging ihrer Aufmerksamkeit.“ Wie könnte man es sonst ertragen, über den Holocaust zu schreiben, ohne zu schreien? Appelfeld stempelt den tief sitzenden Wunsch nach Ergreifung und Bewahrung des Heiligen in seine Figuren, damit die pure Unmenschlichkeit nicht die Oberhand gewinnt.

Der Roman „Die Lichtung“ bedient mehrere Ebenen. Er behandelt in authentischer Fiktion den Holocaust, ist bewegend, mit leicht zugänglicher klarer Sprache. Ein Pageturner wahrlich. Er handelt von der Verzweiflung. Und vom Heiligen. Vom Überleben. Und vom Tod. Er handelt von Menschlichkeit in Unmenschlichkeit, kurz: von allem. Dann aber ist er auch ein philosophischer Roman, von dem aus man diverse Studien betreiben könnte und der zu vielerlei Vertretern hebräischer Philosophie und Theologie führt, u.a. steckt ein gerüttelt Maß Martin Buberschen Gedankenguts in ihm.

Fazit: Von mir erhält der vorliegende Roman  wie auch der Schriftsteller im Gesamten eine klare Leseempfehlung. „Auf der Lichtung“ sollte man sich nicht entgehen lassen. Wie weit man der Einladung zur philosophischen Reflexion dann weiterhin folgt, bleibt jedem selbst überlassen.

Kategorie: Literatur
Verlag: Rowohlt, 2014