Rezension

Sieht so die Zukunft aus?

Unter Markenmenschen - Birgit Rabisch

Unter Markenmenschen
von Birgit Rabisch

Bewertet mit 4 Sternen

„...Ich habe wirklich meine Zweifel, ob wir mit der Ausmerzung des Leids nicht auch unser Fähigkeit zum Glücklichsein ausgemerzt haben...“

 

Wir befinden uns in naher Zukunft. Wer es sich leisten kann, lässt seine Kinder vor der Geburt genetisch optimieren. Die 17jährige Simone gehört zu den No names, das heißt, sie ist ohne genetische Veränderungen geboren worden. Ihre Mutter starb bei der Geburt. Aufgewachsen ist Simone bei ihrem Bruder Benjamin. Der ist genetisch optimiert.

Simone schreibt Tagebuch. Dieses Tagebuch darf ich lesen.

Schon am Anfang wird deutlich, dass Simone das Problem hat, nirgendwo dazu zu gehören. Finanziell kann sich ihr Bruder die besten Schulen für sie leisten, denn er arbeitet als Professor an der Universität. Dort ist sie allerdings Außenseiterin.

Bei den No names fällt sie durch ihre gute Bildung und ihre Markenkleidung auf.

Von ihrem Vater weiß Simone nur, dass er Inder war. Sie ist das Produkt einer Dienstreise ihrer Mutter, die jedoch nie zurückgekehrt ist. Das einzige, was sie hat, ist ein signiertes Buch ihres Vaters, das Kamasutra.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen.

Das Leben in der schönen neuen Zeit hat eine Menge an Schattenseiten. Mit der Optimierung des Menschen hat man gleichzeitig das Gefühlsleben minimiert. Sex dient nur noch der Befriedigung. Eine rechtzeitige Sterilisation und Eientnahme sorgt dafür, dass ungewollte Schwangerschaften verhindert werden können – bei denen, die es sich leisten können.

Als Simone den Studenten Jean – Paul kennenlernt, der bei ihrem Bruder die Doktorarbeit schreibt, wird ihr Gefühlsleben heftig durcheinander gewirbelt.

Spannend sind die Gespräche der beiden, denn diese bringen die Probleme der Zeit auf den Punkt.

 

„...und wir schauen nur noch auf das, was wir nicht haben, und empfinden keine Dankbarkeit für das, was wir haben, seit unser Leben kein Geschenk mehr ist, sondern ein Produkt der Gen – Labors...“

 

In einem Dialog von Jean – Paul und Benjamin wird herausgearbeitet, wo die Grundlagen der Entwicklung lagen – in unserer Zeit. Dazu werden zwei Gerichtsurteile aus den Jahren 1992 und 1997 herangezogen, die trotz aller Integration die Ausgrenzung von Behinderten belegten. Diese Urteile sind real und keine Erfindung der Autorin. Der nächste Schritt war dann die Standardisierung und Optimierung des Menschen. Individualität und Anderssein war verpönt.

Deutlich werden auch die mehr oder weniger starken Nebenwirkungen der ersten Genmanipulationen. Danach ging man einen anderen Weg.

Es werden nur noch wenige Prototypen erzeugt und deren Entwicklung genauestens verfolgt und dokumentiert, bevor man in die Serienproduktion einsteigt. In der Regel stellen No name – Eltern ihre Embryos zur Verfügung, die dann als Gegenleistung ein Markenkind bekommen...“

 

Dieses Zitat sollte man sich in aller Ruhe auf der Zunge zergehen lassen. Es ist an Menschenverachtung nicht zu überbieten.

 

Jean – Paul übrigens ist eines der wenigen geklonten Kinder. Das Verfahren wurde schnell eingestellt. Die Verwandtschaftsbeziehung ist in dem Zusammenhang äußerst kompliziert.

Simone hat lange nicht verstanden, warum ihre Mutter sie überhaupt geboren hat, bis sie selbst vor einer ähnlichen Frage steht. Wie wird sie sich entscheiden?

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es zeigt ein Zukunftsszenario, dem wir uns immer mehr nähern, und stellt den Leser vor die Frage, ob alles, was wissenschaftlich möglich ist, auch ethisch vertretbar bleibt.