Rezension

So viel mehr, als der Klappentext suggeriert

Die Verletzlichen -

Die Verletzlichen
von Sigrid Nunez

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Papagei, ein junger Mann, der sich mit seinen Eltern überworfen hat, und die Erzählerin – drei Figuren, die während des Corona Lockdowns in New York in einer Wohnung stranden. Eine amüsante Geschichte über die anfänglichen Schwierigkeiten Altersunterschiede und Vorurteile zu überwinden hin zu einer vertrauensvollen Freundschaft. Das verspricht der Klappentext und das hält er auch, aber es geht um viel mehr als um diese liebevoll erzählte Geschichte über fallende Mauern zwischen Fremden in Zeiten allgemeiner sozialer Isolation.

Gekonnt verwebt Sigrid Nunez den Erzählstrang mit essayistischen Elementen. Realität und Fiktion verschwimmen und es entsteht das Gesamtbild einer Autorin (die namenlose Erzählerin oder doch Sigrid Nunez selbst?), die während der Coronapandemie versucht eine Schreibblockade zu lösen, die rastlos umherschweift, sowohl durch New York als auch in ihren Gedanken, auf der Suche nach Inspiration, nach einem Anfang für einen gelungenen Roman. Dabei streift sie größere Themen des Mutter- und Frauseins, des Alterns und Krisen vergangener und jetziger Zeiten fast im „Vorbeigehen“.

Sigrid Nunez scheint die Leser dazu herauszufordern sich auf ihre Erzählweise einzulassen, ihren Gedankengängen ohne Zweifel zu folgen. Mehr als einmal habe ich mich ertappt gefühlt, wenn Fragen in mir aufkamen, und Nunez diese zu erraten schien und gerade rechtzeitig auf subtile Weise beantwortete. Ich bin immer wieder gerne zu dem Buch zurückgekommen und oft hat die Autorin mir - mit ihrem feinsinnigen Humor und ihrer scharfen Beobachtungsgabe für die Widersprüchlichkeiten unserer Gesellschaft - ein Schmunzeln entlockt.

Dennoch würde ich das Buch nicht uneingeschränkt empfehlen. Gerade jene, denen eine handlungsgetriebene, geradlinige Erzählweise wichtig ist, sollten eventuell eher zu einem anderen Buch greifen. Auch mir fiel es teilweise schwer jedem von Nunez Gedankengängen zu folgen, gerade durch die vielen Verweise in die Literatur, die mir nicht alle bekannt waren. Trotzdem habe ich mich sehr gerne auf Nunez Erzählweise eingelassen und war insbesondere von ihrer Sprache und ihrem subtilen Humor begeistert.