Rezension

Soziale Kontrolle

Schamlos - Amina Bile, Nancy Herz, Sofia Nesrine Srour

Schamlos
von Amina Bile Nancy Herz Sofia Nesrine Srour

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die drei jungen Frauen Amina Bile, Sofia Srour und Nancy Herz sehen sich selbst als Vorreiterinnen in ihrer Sache. Nämlich dem Kampf für ein schamloses und freies Leben für muslimische Mädchen. In ihrem Buch führen sie Gespräche miteinander und brechen damit Tabus auf, die in der muslimisch geprägten Kultur noch weit verbreitet sind. Sie sprechen über Schwimmunterricht, den Hidschab, generell Kleidervorschriften, Doppelleben- und moral, Liebe, den Jungfernhäutchenmythos und vor allem über soziale Kontrolle. 

Das Buch richtet sich an junge Mädchen und Jugendliche, die gerade herausfinden wollen, wer sie sind und wohin sie gehören, und sich zwischen mehreren Kulturen zurechtfinden müssen. Die Aufbereitung des Themas ist für diese Altersgruppe sehr gelungen. In kleine Lesehäppchen aufgeteilt und mit wunderschönen Illustrationen versehen wird "Schamlos" zu einem besonderen Leseerlebnis.

Was auffällt ist, dass dieses Buch extrem persönlich ist. Die Autorinnen geben tiefe Einblicke in ihr Leben. Ihre Erfahrungen, Reflexionen und Forderungen legen einen Grundstein für eine Debatte, die längst überfällig ist. Sie versuchen junge Menschen zu erreichen, um alten Mustern entgegenzuwirken. Sie greifen viele Themen auf, gehen jedoch nicht immer so in die Tiefe. Das ist manchmal schade. Jemand, der mit Vorurteilen dieses Buch liest, wird sich in manchen Vorurteilen bestärkt sehen. Die Abgrenzung davon, dass nicht jede muslimische Familie gleich funktioniert und jedes muslimische Mädchen die gleichen Erfahrungen macht, fehlte mir ein bisschen. Die Probleme, die die Autorinnen ansprechen, sind aber augenöffnend und ich habe selbst als nicht Muslimin viel dazugelernt.

Manche Texte und Gespräche fand ich persönlich besser als andere. Mit besser meine ich aussagekräftiger, informativer, interessanter. Im Grunde ist das ganze Buch aber stimmig. Neben den Gesprächen, die wirklich wie ein Chat aufgebaut sind, findet man auch Fotos, Grafiken und Listen und immer wieder "Ratschläge" für ehrbare Mädchen, die sehr lächerlich sein können, das alles rundet das Buch sehr gut ab. Unter sozialer Kontrolle verstehen sie den negativen gesellschaftlichen Druck in Minderheitsgemeinschaften, der durch die eigene Familie, aber auch andere angehörige dieser Minderheit ausgeübt werden kann.

 

Fazit

Das Leben von muslimischen Mädchen wird durch manche Mechanismen sehr erschwert. Die Autorinnen haben sich dem Thema "soziale Kontrolle" angenommen und versuchen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie sehr sie eigentlich darunter leiden, wenn die Ehre der Familie und was andere denken viel mehr Wert ist als man selbst als Mensch. Als Einsteigerbuch in die Thematik findet man hier sehr persönliche Einblicke und Erfahrungen. Es ist wichtig, dass darüber geredet wird und muslimische Mädchen ihre Erfahrungen teilen können und die Autorinnen anderen mit ihren Geschichten helfen. Eine Leseempfehlung für jede*n!