Rezension

Spannend und realistisch

Golanhöhen - Marc-Oliver Bischoff

Golanhöhen
von Marc-Oliver Bischoff

Bewertet mit 5 Sternen

»Etwas raschelte hinter ihr im steif gefrorenen Laub. Sie fuhr herum. Eine Bewegung, ein dunkler Fleck am Boden. Eine Saatkrähe, furchterregend groß, die sie aus schwarzen Knopfaugen anstarrte. Sie legte den Kopf schräg. Der Schnabel sah gefährlich spitz aus. Überhaupt waren Krähen richtig große Vögel. Was man erst dann bemerkte, wenn sie nur ein paar Schritte von einem entfernt im Gras hockten und einen anstarrten. Die Anwesenheit des Tieres jagte Rita Schauer über den Rücken. Der Vogel machte ein paar Sprünge, dann landete er auf etwas, das kaum drei Meter von Rita entfernt im Gras lag. Etwas, das sie bis jetzt nicht bemerkt hatte, obwohl es so groß war. Die Krähe stieß ihren Schnabel in die Beute, auf der sie hockte, und zog etwas Längliches heraus. Auf den ersten Blick glich es einem Wurm. Fasziniert beobachtete Rita das Schauspiel. Dann erkannte sie, dass es sich bei der Beute im Gras nicht um einen Tierkadaver handelte. Sondern um eine menschliche Leiche.«

Frankfurt am Main. Die Wohngegend am Ben-Gurion-Ring ist wirklich keine, in der man gern leben möchte. Mit schöner Regelmäßigkeit muss die Polizei dort anrücken und auch das Haus, vor dem die Leiche gefunden wurde, ist für Gideon Richter und seine Kollegen kein unbekanntes. Zunächst vermutet jeder einen Suizid – die Tote wäre nicht die erste Person, die ihr Leben in diesem sozialen Brennpunkt durch einen Sprung vom Dach beendet. Doch bald schon kommen Zweifel an dieser Theorie auf und Gideons Team muss sich nun, nach dem Fund einer Babyleiche in der Nacht zuvor, um zwei Tötungsdelikte kümmern. Keine einfache Situation für Gideon, dem der durch die 3-Monats-Koliken seines Söhnchens hervorgerufene Schlafmangel an die Substanz geht. Zumal er, wenn er denn mal schläft, regelmäßig von Alpträumen gequält wird…

 

Das war mal wieder ein Krimi ganz nach meinem Geschmack! Die Fälle sind spannend und bleiben es auch, da man beim Lesen immer wieder auf falsche Fährten gelockt wird. Die Ermittlungsarbeiten wirkten auf mich sehr realistisch, ein Eindruck, der unter anderem durch Kompetenzgerangel im Präsidium noch unterstützt wurde. Besonders gefiel mir ein Kapitel, in dem zeitgleich in mehreren Verhörräumen Verdächtige und Zeugen vernommen wurden – den ständigen Wechsel von einem Verhör zum anderen fand ich ungemein spannend!

Sehr realistisch wirkten auch die Beschreibungen des Umfelds – die Wohnblöcke am Ben-Gurion-Ring, die den Spitznamen „Golanhöhen“ tragen und als sozialer Brennpunkt gelten, sah ich richtig vor mir. Auch die dort lebenden Menschen und ihre Schicksale wurden ausdrucksstark beschrieben, sozialkritisch die Ursache für viele Probleme auf den Punkt gebracht:

»Man kann den Leuten nicht in den Kopf reinschauen. Und es ging mich ja auch nichts an.«

»Genau das ist das Problem … Es geht nie jemanden was an.«

 

Aktuell wirkt der Krimi auch, wenn er Themen wie Blockupy und Teilzeitarbeit aufgreift. Das Thema Kindstötungen ist ohnehin leider immer ein aktuelles, dem kaum jemand emotionslos gegenüberstehen dürfte.

 

Auch die private Seite Gideons und einiger anderer Ermittler fand ich sehr gut dargestellt. Seine Ausgelaugtheit, Übermüdung und verstärkte Reizbarkeit können die meisten Menschen, die sich schon einmal um die Rund-um-die-Uhr-Betreuung eines Säuglings kümmern mussten, sicher gut nachvollziehen. Außerdem hat Gideon eine unglückliche Neigung dazu, sich durch unüberlegtes Handeln in Schwierigkeiten zu bringen. An einer Stelle habe ich kopfschüttelnd vor meinem Buch gesessen und Gideon mit unschönen Vokabeln wie „dämlich“ bedacht, aber andererseits wirkte er dadurch sehr menschlich – und das wiederum finde ich sympathisch. Den Umfang, in dem sich das Buch mit dieser menschlichen Seite seiner Ermittler erfasst, empfand ich als genau richtig: Genug, um als Leser eine Beziehung zu ihnen aufzubauen aber nicht so viel, dass dadurch Spannung und der Fall in den Hintergrund treten würden.

 

Fazit: Toller Krimi, spannend und realitätsnah. Beim Krimifreund dürfte kein Wunsch offen bleiben!