Rezension

spannende Unterhaltung, etwas vorhersehbar

Septembermädchen - Kathrin Lange

Septembermädchen
von Kathrin Lange

Zitat:
„Wie ein gefangenes Tier begann sie, in dem kahlen Raum auf und ab zu gehen. Von einer Wand bis zur anderen waren es genau sieben Schritte. Sie begann zu zählen. Erst als sie bei zehntausend angekommen war, hörte sie auf damit und marschierte einfach so weiter.“
(S. 80)

„Warum?“, schluchzte sie. „Warum tust du das?“
Er kam zu ihr, brachte seinen Mund ganz dicht an ihr Ohr. Doch seine Worte ergaben überhaupt keinen Sinn.
„Weil September ist …“, hauchte er. „Weil wieder September ist!“
(S. 161)

Inhalt:
Leonies (Leos) Leben kollidiert im wahrsten Sinne des Wortes mit dem von diesem Jungen. Blut tropft ihm aus einer Wunde im Gesicht, was bei Leo beinahe zur Ohnmacht führt. Ganz der Gentleman rettet der Junge Leo vor dem drohenden Sturz… und küsst sie.

Die Erinnerungen an ihre erste Begegnung mit Elijah ist wieder gegenwärtig, doch damals hat sich ihre Freundin Amy ihm beinahe aufgezwungen.

Amy, auf die Leo nun gemeinsam mit Hannah nach diesem „Zwischenfall“ wartet. Aber Amy kommt nicht. Nur der überall bekannte Obdachlose Schröder, der, verwirrt und alkoholisiert wie immer, von einer Chrissy erzählt, die nie wiederkommen wird, taucht auf. Er predigt vor sich hin, dass Amy genauso nicht mehr wiederkommen wird.

Das bedrückende Gefühl und die schlimmen Gedanken, die Leo nach dieser Begegnung heimsuchen, werden schon bald grausame Realität: Amy ist spurlos verschwunden.

Meinung:
Als Vorbereitung auf einen Workshop mit der Autorin habe ich zu „Septembermädchen“ gegriffen, war durch den Klappentext sehr gespannt und tauchte wissbegierig in die Geschichte ein. Ich lese normalerweise keine (Jugend-)Thriller, sondern bin voll und ganz im YA Fantasy-Bereich zuhause.

Schon im ersten Kapitel wurde ich neugierig gemacht und mit einem vermutlich grausamen Schicksal konfrontiert. Ich konnte zu Beginn nur vermuten, wie es mit Chrissy ausging, sog in den nächsten Seiten und dem Fortlauf der Geschichte jedes Häppchen über sie auf, um mehr zu erfahren.

Gleich darauf stieß ich direkt in Leos Leben, oder besser gesagt stößt Leo mit diesem Jungen zusammen, dessen Gesicht blutüberströmt ist. Er hat eine sehr klischeehafte Wirkung auf Leo: Sie fällt in Ohnmacht. Jedoch nicht (nur), weil sie ihn toll findet, sondern weil sie kein Blut sehen kann.
Der Junge fängt sie auf, hält sie, küsst sie. Und entgegen aller Vernunft genießt Leo diesen kurzen Moment.
Leo hat ihn schon einmal gesehen, an diesem einen Tag vor Monaten, als sie mit ihrer Freundin Amy im „Noah’s“ war. Dort hat der Typ live miterlebt, wie Fabian mit Leo Schluss gemacht hat.

Der Junge, Elijah, begleitet Leo noch zu ihrem Treffpunkt mit ihren Freundinnen, Hannah wartet bereits. Doch anstelle von Amy treffen die Mädchen auf den Stadtstreicher Schröder, der wie immer konfuses Zeug redet und Hannah Angst macht. Leo hingegen lässt seine „Warnungen“ auf sich wirken, hat ein ungutes Gefühl, nachdem Schröder offenbart hat, dass Amy nie wieder kommen wird. Sie macht sich Gedanken darüber, sorgt sich. Und sollte recht behalten damit. Denn am nächsten Tag gilt Amy offiziell als vermisst.

Was wirklich mit ihr geschieht, weiß lediglich der Leser anhand des Handlungsstranges aus Amys Perspektive, der im personalen Stil von ihrer Gefangenschaft, ihrem Begreifen der Lage und dem zunehmenden Druck der Hoffnungslosigkeit erzählt.

Geschickt fädelte Frau Lange diese Perspektivenwechsel ein, lässt so nie vergessen, was aktuell mit Amy passiert, wer alles darüber Bescheid weiß und wer vielleicht damit zu tun hat. So spekulierte auch ich lange Zeit mit.

Die Charaktere waren allesamt ausreichend dargestellt, erhielten ihre persönliche Note und angemessenen Hintergrund, um ihre Beweggründe nachzuvollziehen.

Die Protagonistin Leo, deren Geschichte in personalem Stil/Vergangenheit erzählt wird, ist auf den ersten Blick anders: Sie sucht die Gefahr, läuft gerne durch das nächtliche Fabrikpark-Gelände, liebt es, sich die Welt im Dunkeln vorzustellen, allein und verlassen.
Mit dem Zusammenstoß mit Elijah ändert sich das jedoch. Sie wird zum typischen Mädchen, ihre Begeisterung für den „exotischen“ Elijah grenzte schon an „too much“, was vielleicht aber auch an diesem Standard-Fantasy-Klischee liegt, mit dem ich mich sehr gut auskenne.

Mit ihrem männlichen Gegenstück konnte mich die Autorin mehr begeistern. Elijah ist nicht nur vorzeigbar und lässt die gesamte weibliche Kundschaft des „Noah’s“ hechelnd hinterherblicken, sondern hat ein außergewöhnliches Hobby, das mir so noch nicht untergekommen ist: Capoeira, eine südamerikanische „Kampfkunst“. Die Regeln dieses „Spieles“ flocht Frau Lange auf gekonnte Weise in die einzelnen Abschnitte von „Septembermädchen“ ein.

Auch die vermeintlichen Nebencharaktere wie Leos Mutter, die Leo stets nur Nene ruft, oder auch der Obdachlose Schröder tragen ihren Teil zum Vorantreiben der Handlung bei wie auch Elijahs Vater, dessen Beziehung zu seinem Sohn einen ganz besonderen Hintergrund hat.

Der Schreibstil von Frau Lange ist einfach und der Zielgruppe angepasst. Viel wörtliche Rede treibt die Lesegeschwindigkeit enorm in die Höhe. Durch geschickte Verstrickungen und erwähnte „Kleinigkeiten“ führt die Autorin einzelne Puzzleteile aus Vergangenheit und Gegenwart zusammen und schafft so ein tolles Endbild.

Die Geschichte entwickelte einen Lesesog, obwohl ich die nächsten Schritte oder das große Ganze absehen konnte, mich nicht von immer neuen „Tatsachen“ beirren ließ. Lediglich am Ende konnte mich die Autorin wirklich kurzzeitig hinters Licht führen, mich verwirren und überraschen. Die letzten Seiten waren daher ein absolutes Highlight und der Spannungslevel steigerte sich enorm, ehe „Septembermädchen“ zu einem runden und gelungenen Abschluss führt.

Urteil:
Mit „Septembermädchen“ hat Kathrin Lange einen unterhaltsamen und spannenden Jugendthriller geschaffen, Klischee und neue Ideen perfekt kombiniert und so den Drang, mehr zu erfahren, stets gesteigert. Lediglich die Vorhersehbarkeit schmälerte meinen Lesespaß, ich hätte mir mehr falsche Fährten und/oder Überraschungsmomente wie im Showdown gewünscht. 4 Bücher für Leo und Elijah.

Für alle Fans kurzweiliger und doch spannender Unterhaltung, die nicht zwingend überrascht werden müssen und sich auch von einem gewissen Maß an Berechenbarkeit und Klischee nicht den Spaß am Buch verderben lassen.

©his-and-her-books.blogspot.de