Rezension

Spannender Roman um eine manipulative, bösartige Frau

Vor Rehen wird gewarnt - Vicki Baum

Vor Rehen wird gewarnt
von Vicki Baum

Bewertet mit 5 Sternen

Geschichte von Ann Ambros und Stieftochter Joy, deren Schicksale in unguter Weise miteinander verknüpft sind, spannend, sprachlich hervorragend

Dies ist mein erstes Buch von Vicki Baum, wenn ich von ihren romanhaften 'Erinnerungen' mal absehe. Aber schon in dieser Autobiografie war mir aufgefallen, wie genau Vicki Baum die Menschen beobachtet und beschrieben hat. Das ist auch in diesem Roman durchweg der Fall.

Wir lernen die Hauptpersonen zu Beginn einer Zugfahrt kennen: die zierliche, zerbrechliche, über 60-jährige Ann Ambros, auch 'Angelina' genannt und ihre Stieftochter Joy. Anfangs erscheint 'die alte Dame' zwar als manipulativ, aber dennoch liebenswert und charmant. Ein dramatisches Vorkommnis während der Zugfahrt aber setzt Rückblenden in Gang, in denen dem Leser der wahre Charakter von Ann nach und nach enthüllt wird und was sie mit den Menschen angerichtet hat, die zu ihrer Familie gehörten oder ihr nahe kamen.

Sie habe 'habe das Leben von jedem ruiniert, der in ihre Nähe gekommen ist' . So darf man gespannt sein, was sie im Verlauf ihres Lebens alles getan hat und wie das Vorkommnis im Handlungsstrang der Gegenwart am Ende ausgehen wird.

Leise Kritikpunkte, was die vielleicht etwas zu unwahrscheinliche oder zu melodramatische Handlung anbetrifft, werden durch die außergewöhnliche Sprache wett gemacht, in der Vicki Baum nicht nur die Personen, sondern auch anderes treffend und bildhaft beschreibt, z.B. die Zugfahrt, das große Erdbeben in Kalifornien mit dem zerstörerischen Feuer u.v.m.

'Vater blickte ihr mit einem Lächeln nach, das scharfe Kanten hatte.' 

Dazu kommen viele Gedankenanstöße zu Themen, die zeitlos sind: zu Liebe, Ehe und Einsamkeit, zum Krieg, zur Berichterstattung der Presse usw: 'sensationelle Überschriften, Druckfehler und Übertreibungen' , - 'große Katastrophen in kleine Wörter zu zerkrümeln' .

Man mag kritisieren, dass das furiose Ende zu dramatisch ist, zu unwahrscheinlich oder doch nicht? Ist nun alles aufgelöst und zum Guten gewendet? Bei längerem Nachdenken schleichen sich kleine Zweifel ein und das hat die Autorin sicher mit Absicht so gemacht.

Auch wenn ich mit der Bewertung anfangs ein wenig hin- und hergerissen war, kann ich doch nicht anders als 5 Sterne zu vergeben und eine Lese-Empfehlung auszusprechen: spannend, gehaltvoll, bildhafte Sprache, kluge Gedanken.

Ich werde gerne als nächstes ihr berühmtestes Buch 'Menschen im Hotel', ein frühes Werk, lesen und bin gespannt, ob mir auch das gut gefallen wird.