Rezension

Spiekers neues Jesus-Buch

Jesus. Eine Weltgeschichte. -

Jesus. Eine Weltgeschichte.
von Markus Spieker

Bewertet mit 2.5 Sternen

Weniger wäre mehr gewesen – das ist mein Fazit nach der Lektüre der  Jesus-Biographie „Jesus. Eine Weltgeschichte“ von Markus Spieker. Das 1000-seitige Werk nimmt für sich in Anspruch, das Leben und Wirken Jesu „von der Steinzeit bis ins digitale Zeitalter“ darzustellen. 

In drei Teile hat Spieker selbst sein Werk eingeteilt. Zunächst behandelt er die Zeit bis zu Jesu Geburt mit dem Schwerpunkt auf der biblischen Geschichte. Danach folgt der Blick auf Jesu Leben, wonach schließlich Jesu Wirkungsgeschichte bis in unsere Zeit beleuchtet wird. 

Das klingt nach sehr viel Fleißarbeit – und das ist es zum Teil auch. Einzelne Kapitel lesen sich wie zusammengefasste Lexikonartikel – und es ergeht einem auch wie beim Lesen von Lexikonartikel: Das meiste vergisst man schnell wieder. Aber neben diesen intensiven Wissensblocks gibt es immer wieder auch Kapitel, in denen Spieker sich freischreibt und zeigt, dass in ihm auch ein guter Journalist steckt, der Interesse wecken kann. 

Freilich macht er dies zum Teil auch mit sehr fragwürdigen Mitteln. Generell tat ich mich mit dem gelinde gesagt lockeren Schreibstil des Buches  schwer. Anfangs fand ich das Flapsige seiner Sprache eher erfrischend, aber durchgängig ist es mir doch zu viel geworden. Manches wirkt ja doch eher wie eine Slapstickeinlage – z.B. wenn Esther als Beauty Queen bezeichnet wird oder wenn Spieker von Johannes‘ Preview bevorstehender Katstrophen spricht. 

Der zweite Weg, den Spieker wählt, um Interesse zu wecken, besteht darin, dass er sich in Personen hineinversetzt, ihre Gedanken weiß – und nicht nur die. So weiß Spieker ganz genau, was Jesus bei seiner Taufe für Kleidung getragen hat. Stellenweise kommt einem Spieker vor wie ein Waschweib, das frei von der Leber weg plaudert und wild spekuliert – zum Beispiel darüber, wie Jesus ausgesehen hat. Ziemlich irritiert war ich darüber, wie Spieker vom vermuteten Aussehen Jesu darauf kommt, dass Jesus aufgrund seiner Kleidung das fleischgewordene sanfte Säuseln Gottes, das ja Elia am Horeb gehört hat, sei. 

Dass Spieker in seinem Buch keine Quellenangaben liefert – oft nennt er nicht einmal die Bibelstellen, auf die er sich bezieht – verwundert da nicht. Sehr störend ist dies bei den Stellen, wo Spieker kein „vielleicht“ einbaut. Dass bei Judas‘ und Pilatus‘ Beweggründen die Phantasie Spiekers zum Tragen kommt, wundert nicht . Aber hier wäre wichtig gewesen, dass deutlich gemacht wird, wo das Wissen aus biblischen Texten aufhört und wo Spiekers Spekulationen beginnen.

Durch all die belanglosen Aspekte, die Spieker einbaut, zerfleddert das Ganze oft. Man sehnt sich nach einer übergeordneten Linie, einem roten Faden, der einem über all die Belanglosigkeiten hinweghilft. Die leitenden inhaltlichen Aussagen muss man als Leser bei Spieker aber zumeist selbst suchen. 

Es gibt bei Spieker aber auch die Kapitel, die man einfach so runterlesen kann, in denen man klare Fragestellungen erkennen kann. So bei dem Kapitel zu Ezechiel, wo eine der Leitfragen ist, weshalb es im Judentum die Aufforderung gab, das Buch erst im Erwachsenenalter zu lesen. Ebenso bei dem Kapitel zur Hochzeit von Kanaan mit seinen Ausführungen zu alttestamentlichen Bezügen. Sehr eindrücklich sind auch Spiekers Ausführungen zum Umgang mit Sklaven im Römischen Reich. 

Oft genug aber erzählt Spieker zwar viel nach, die Deutungen der Gleichnisse und Wunder Jesu sind aber eher knapp. Hier hätte ich mir gewünscht, dass eine klarere Linie sichtbar wird, dass man als Leser mehr geführt wird. So hatte ich den Eindruck, dass einfach querbeet erzählt wird, was Jesus gepredigt und getan hat. Erst bei den radikaleren Gleichnissen erfolgt dann die Zuordnung in die Passionszeit. Weniger wäre hier mehr gewesen.  Denn leider ist Spieker kein guter Erzähler. Er hat nicht das Talent, Geschichte auf eine spannende Weise lebendig werden zu lassen. Sein schreibendes Talent zeigt sich erst dann, wenn er sich selbst am Anfang eines Kapitels eine Frage stellt. Seine Sachkundigkeit zeigt sich in vielen Kapiteln, wo Spieker auf die historische Umwelt eingeht. 

Eine Stärke des Buches ist das intensive Einbeziehen der historischen Umwelt Jesu als Erklärungsfolie. So viel über die Umwelt Jesu habe ich in keinem anderen Jesus-Buch erfahren. Allerdings wirkt das Sittengemälde des Römischen Reiches, das Spieker zeichnet, doch sehr drastisch. Skeptisch gestimmt hat mich die unkritische Nennung von Sueton – der war ja eher ein Klatschpressen-Autor,  quasi die Bildzeitung des Kaiserhofs. Ebenso unkritisch geht Spieker zum Teil mit historischen Funden um. So spekuliert er über das Jakobus-Ossuar, obwohl es in er Fachwelt längst als Fälschung erkannt worden ist. Dafür kann Spieker mit dem, was ihm nicht in den Kram passt, auch äußerst kritisch umgehen. So macht er das Thomas-Evangelium anhand einer einzelnen Stelle komplett unglaubwürdig – meines Erachtens zu unrecht. Auch hat Spieker im letzten Teil des Buches so gar keine Schwierigkeiten, bei den Personen, die ihm nicht in den Kram passen, auf ihr zweifelhaftes Privatleben (Schürzenjäger, Selbstmord, Bigamist, …) einzugehen – als ob dies etwas mit deren Meinung zu tun hätte! 

Dass Spiekers Jesus-Buch einen evangelikalen Einschlag hat, leugnet der Autor nicht. An manchen Stellen tritt die evangelikale Provenienz deutlicher hervor als an anderen. So zieht Spieker bei Ps 22 gar nicht in Betracht, dass die Verfasser der Evangelien darauf Bezug nehmen, sondern sagt, dass der Psalm wirke als ob David Jesu Schicksal am Kreuz vorausgehen habe. Im Gegensatz zu anderen evangelikalen Autoren reduziert Spieker jedoch das Alte Testament nicht nur auf das (überwundene) Gesetz. 

Weniger gemäßigt zeigt sich Spieker an anderen Stellen seines Buches. So ist Spiekers Darstellung der Erfolge des Christentums in der Mission gelinde gesagt einseitig. Ja, er sieht sie als Erfolgsgeschichte an. Er versteigt sich zudem zu der Aussage, dass das Christentum letztlich aufgrund der Mission als einzige Religion von sich behaupten könne, eine Weltreligion zu sein. 

An manchen Stellen bedient sich Spieker zudem was das Christentum angeht einer sehr einfachen Schwarz-Weiß-Sicht. Er hebt das Christentum ab von der Folie der Umwelt. So stellt Spieker ausführlich dar, dass Augustinus an einer Befreiungsaktion für Sklaven aktiv war (auch wenn er „nur“ befreite Sklaven versorgte), verschweigt aber zugleich, dass Augustinus – so sehr er argumentierte, dass die Sklaverei aus der Sünde entstanden sei – sich selbst eben nicht für die Befreiung von Sklaven ausgesprochen hat, sondern sich vielmehr für die Beibehaltung der Sklaverei aussprach – mit Verweis auf Paulus. Darauf, dass die Sklaverei auch christlich begründet wurde, geht Spieker erst später kurz in seinem Buch ein. Ganz offensichtlich wird dies bei der Darstellung von Las Casas. Hier ist im Buch nur von seinen „Gegnern“ die Rede. Aber wer waren die denn? Es waren doch genauso Christen! Für Spieker sind sie es mit einem einfachen Kniff nicht mehr – denn sie bezögen sich in ihrer Argumentation ja auf Aristoteles und der war ein griechischer, ein heidnischer Autor. Mission accomplished. 

Spiekers evangelikale Seite tritt auch bei dem Kapitel zum Hedonismus deutlich zutage. So bringt er im Kapitel „Hedonismus“ Abseitiges wie Sadismus, Satanismus und die Rolling Stones als Beleg für das neue Lustprinzip in der Gesellschaft. Spieker erkennt einen „Triumpf des Hedonismus“. Als ob einzelne Personen die Gesellschaft prägen würden! Hätte man nicht, um die Macht des Hedonismus in unserer Zeit zu beleuchten, auf das globalisierte Wirtschaftssystem, auf die Börse und ihre Verirrungen usw. usf. schauen müssen, oder auch auf ein Beispiel wie den Massentourismus? 

Spannend zu lesen ist hingegen das Kapitel „Saubermänner – Die Vertreibung der Freude“, in dem sich Spieker über die Lustfeindlichkeit mancher Kirchenväter wundert. Auch das Urteil, dass Askese bei Hieronymus nur dazu führe, dass sein Ehrgeiz sich hin zu frommem Stolz verlagere.

Auch die sehr ausführliche Darstellung von sozialem Engagements im Laufe der Kirchengeschichte birgt einige interessante Aspekte und vor allem Persönlichkeiten. Hier gelingt es Spieker überzeugend darzustellen, dass gerade die soziale Aktivität und die Wahrnehmung sozialer Probleme zu großen Teilen die Attraktivität des Christentums ausmachte. Nichtsdestotrotz weiß ich nicht, was ich von Spiekers These, wir seien heute gar nicht so weit vom alten Rom entfernt (S.929), halten soll.