Rezension

Spurensuche zwischen Herkunft, Hautfarbe und Angst

1000 Serpentinen Angst - Olivia Wenzel

1000 Serpentinen Angst
von Olivia Wenzel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Olivia Wenzels Icherzählerin setzt sich mit Mitte 30 auf einer USA-Reise mit ihrem Schwarzsein auseinander. Aufgewachsen mit ihrem Zwillingsbruder bei der ostdeutschen Großmutter, waren beide Kinder stets die Ausnahme in einer rein weißen Umgebung. Der Vater der Geschwister stammte aus Angola, ihre Mutter hatte sich als Mitglied der ostdeutschen Punk-Szene schon als Jugendliche in Schwierigkeiten mit den Behörden gebracht. In den USA fühlt sie sich, anders als bei einem Besuch in Angola, plötzlich zugehörig. Sie „sieht“ ihre Hautfarbe hier zum ersten Mal, obwohl zuvor bereits in Deutschland Schwarze überall zuerst heraus gewunken wurden. Ihr ist jedoch klar, dass amerikanische Städte  nicht für arme Menschen ohne Auto gebaut werden und dass dort Schwarze fast ausschließlich in Dienstleistungsberufen arbeiten. Eine weitere Reise führt nach Vietnam, wo Kim, die Lebenspartnerin der Erzählerin, gerade ihre Familie besucht. Eine wichtige Rolle im Roman spielen Fotos und Bildbeschreibungen, die der Protagonistin ermöglichen, selbst einen Schritt aus dem Bild herauszutreten, aber auch damit Gespräche zu initiieren.

Weitere Teile des Buches setzen sich mit dem Schwarzsein in Ostdeutschland auseinander, mit dem Finden der eigenen sexuellen Orientierung, mit einer akuten Angsterkrankung und mit Großmutter und Mutter der Erzählerin. Die Großmutter war bereits allein erziehende Mutter, der von der Stasi gedroht wurde, ihre punkige Tochter in ein Heim einzuweisen, falls sie deren jugendliche Eskapaden nicht in den Griff bekäme. Ob die Erzählerin sich letztendlich in die Motive von Mutter und Großmutter einfühlen konnte, bleibt für mich offen, ihr Weg dahin hat mich stark berührt.

Die Selbstfindung und Selbstauskunft der jungen Frau wird strukturiert durch insistierende Fragen - im Druck durch Großbuchstaben hervorgehoben - an sie, auf die sie bereitwillig antwortet. Das Layout und die Tonlage der Fragen fand ich lange irritierend; der Groschen, um was für Fragen es sich handelt, fiel bei mir entsprechend spät. Auch wenn der Einstieg für mich zunächst verwirrend war, hat mir die Suche der Icherzählerin nach eigenen Wurzeln im Dreieck aus Stress/Rassismus/psychischer Erkrankung einen neuen Blick ermöglicht, der weit über das Konstrukt Hautfarbe hinausreicht.

Kommentare

Schokoloko28 kommentierte am 04. März 2020 um 16:56

Hört sich interessant an!