Rezension

Starke Frau - starkes Buch

Der große Trip - Cheryl Strayed

Der große Trip
von Cheryl Strayed

Das Leben schreibt noch immer die besten Geschichten, das ist und bleibt einfach so. Cheryls Familie bricht nach dem Tod ihrer Mutter auseinander und Cheryl selbst bricht zusammen. Ihre Ehe karrt sie an die Wand, das Leben läuft aus allen Rudern und sie weiss scheinbar selbst nicht mehr wohin mit sich. Bis ihr ein Buch in die Hände kommt: The Pacific Crest Trail Volume 1. Obwohl sie noch nie auf einer Fernwanderung war, obwohl sie sich mit ihrem Rucksack und der Ausrüstung extrem verschätzt, obwohl sie noch nie so lange alleine in der Natur war, lässt sie dieses neue Projekt nicht mehr los und so läuft sie von Kalifornien bis zur besagten Brücke der Götter.

Selten hat mich ein Buch so gefangen genommen und selten habe ich einen Roman so intensiv gelesen. Ich brauchte vergleichsweise lange, es zu lesen, aber nur, weil ich komplett darin versunken bin. Egal ob ich 50 oder 5 Seiten gelesen habe, jedesmal beim neuen Einstieg war ich sofort wieder in der Geschichte, war ich sofort wieder auf dem Trail, in ihren Schuhen. Ich fühlte ihre Ängste mit, ihre Unsicherheit, ihre Trauer und Wut, aber auch die Freude, Erleichterung und Glückseligkeit. Ich habe unglaublichen Respekt vor dieser Frau und ihrer Entscheidung und davor, dass sie es bis zum Ende durchgezogen hat! Ihr Roman, der sozusagen aus ihrem Tagebuch entstand, ist sehr inspirierend und am liebsten würde ich nun auch den Rucksack packen. Durch ihre Erzählungen kommt man selbst ins Grübeln. Kleinigkeiten erhalten grosse Bedeutung, grosse Dinge werden zu Nichtigkeiten. Elementare Erfahrungen, die wir überhaupt nicht mehr wahrnehmen, weil wir sie für garantiert nehmen, kommen plötzlich ins Bewusstsein und erinnern den Leser, dass nicht alles selbstverständlich ist im Leben. Auch ist Trauer ein sehr individueller Prozess, Glück und Erfolg eine Frage der Definition und der darin investierten Kraft, Willensstärke, Schweiss und Blut. Cheryl hat das alles bezahlt und wurde gücklich, obwohl sie auf der Wanderung an ihre physischen wie psychischen Grenzen stiess und das mehr als bloss einmal.

Ihr Buch wurde dieses Jahr mit Reese Whiterspoon verfilmt, Drehbuchautor war Nick Hornby. Cheryls eigene Tochter spielt Cheryl als Kind und auch Cheryl selbst erscheint ganz kurz im Film, obwohl sie nur Wissende entdecken dürften. Der Film ist ebenfalls absolut zu empfehlen. Es wurde herrliche Landschaften aufgenommen, Natureindrücke, für die sogar die grösste Leinwand zu klein scheint, Emotionen von einem Extrem ins Andere. Ich habe den Film schon 2x gesehen und muss sagen, ich habe geweint. Nicht nur einmal und nicht nur am Ende, sondern auch dazwischen und bei der Lektüre des Buches. Cheryls Geschichte hat mich so gepackt, ob als Film oder Buch, dass ich ihre schmerzenden Füsse spürte, ihren Kummer im Herzen, ihre Erleichterung nach einem aufwühlenden Ereignis oder einem besonders schweren Tag. Bezüglich des Filmes, denke ich, hätten sie niemand Besseres für die Hauptrolle finden können und auch vom Soundtrack bin ich hingerissen. Dennoch muss ich sagen: Auch hier schlägt der Film das Buch nicht. Das Buch ist einfach immer besser und diesen Roman werde ich als Schatz in meinem Regal behalten.

 

5 / 5 Sterne