Rezension

Suche nach Wahrheit und der eigenen Identität mit Bezug zum deutschen Widerstand der 1980er-Jahre

Meine fremde Mutter -

Meine fremde Mutter
von Christiane Dieckerhoff

Bewertet mit 4 Sternen

Nach dem Tod ihres Vaters erfährt Rabea von einem Journalisten, dass die Frau, die sie großgezogen hat, nicht ihre leibliche Mutter ist. Darauf angesprochen berichtet ihr Gabi, dass Veronika Maibohm, eine von der Polizei seit Jahrzehnten gesuchte Terroristin, ihre Mutter ist. Rabea ist völlig perplex und sieht sich in ihren Grundfesten erschüttert. Auf der Suche nach ihren Wurzeln und ihrer Identität versucht sie in Gesprächen mit Menschen, die ihren Vater und ihre Mutter in den 1980er-Jahren begleiteten, mehr herauszufinden. Dabei gerät sie selbst ins Visier der Polizei, denn diese hofft offensichtlich, dass sie über Rabea an Veronika Maibohm gelangen, denn Mord verjährt nie.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und schildert in der Gegenwart Rabeas Suche nach ihrer fremden Mutter. In der Vergangenheit wird der Weg der 19-jährigen Gymnasiastin Nika von 1981 bis zum Attentat auf den Chef der Deutschen Bank im November 1989 beschrieben.
Während der Gegenwartsstrang sehr ausführlich Rabeas Identitätsverlust und die schwierige Recherche, die sie nicht nur von ihrem Freund sondern auch von sich selbst entfremdet, erzählt wird, sind die Kapitel der Vergangenheit deutlich kürzer und schildern nur Ausschnitte aus Nikas bewegtem Leben, das sie in den Untergrund führte. Der Aspekt der Gewalt wird dabei gelungen neutral dargelegt. Sowohl das harte Vorgehen der Polizei als auch die unbarmherzig brutale Art der Demonstranten und späteren Terroristen erscheint neutral, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Nika und ihre Motivation für den bewaffneten Kampf gegen den Staat erschließt sich ganz und verbleibt bei Andeutungen.

Die Suche nach Veronika Maibaum ist spannend und führt Rabea auf verschiedene Wege, die auch den Leser tiefer in den "Deutschen Herbst" eintauchen lassen. Rabea wirkt dabei phasenweise kopflos, was angesichts des Geständnisses ihrer Ziehmutter jedoch nicht verwunderlich ist. Auch der Journalist hat seine ganz eigene Motivation, Rabea einerseits zu manipulieren, andererseits zu führen. Rabeas Freund Marvin und die Ermittlungen der Polizei sind dagegen fragwürdig und verunsichern Rabea zusehends. Auf mich wirkten die polizeilichen Maßnahmen stümperhaft und nur schwer nachvollziehbar.
Das Ende ist einerseits versöhnlich und zufriedenstellend, auf der anderen Seite nicht wirklich logisch und passte nicht zu Nikas Biografie.

"Meine fremde Mutter" schildert eine dramatische und spannende Geschichte über Widerstandsgruppen und ihr Abdriften ins Extreme sowie eine Suche nach Wahrheit und der eigenen Identität. Beide Handlungsstränge fügen sich schlüssig zusammen, hätten aber an der ein oder anderen Stelle, insbesondere in Bezug auf die Vergangenheit ausführlicher sein können, um die politischen Zusammenhänge und die Mischung aus Historie und Fiktion besser einordnen zu können. Das Ende hätte ich mir etwas glaubwürdiger gewünscht.