Rezension

Superlustig, sympathische Charaktere und ein toller Einblick in das Leben in Polen und als Auswanderer in Deutschland

Sitzen vier Polen im Auto - Alexandra Tobor

Sitzen vier Polen im Auto
von Alexandra Tobor

Bewertet mit 5 Sternen

Zum Inhalt:
Die 8-jährige Aleksandra, von allen nur Ola genannt, lebt im Polen der 80er Jahre und träumt davon, nach Deutschland auszuwandern, ihrer Meinung nach eine Art Schlaraffenland, in dem es all das gibt, was ihr in Polen fehlt. Ihr Onkel hat bereits „rübergemacht“, und Ola ist überglücklich, als die Eltern sich dazu überreden lassen, das perspektivenlose Polen hinter sich zu lassen und mit den beiden Kindern, Ola und ihrem kleinen Bruder Tomek, ins gelobte Land auszuwandern. Nur Oma Greta darf davon nichts wissen, denn die resolute, dominante Frau würde bestimmt Mittel und Wege finden, ihre Familie in Polen zu halten!
In Deutschland angekommen staunt Ola über die in ihren Augen paradiesischen Verhältnisse. Doch so einfach, wie sich Ola das vorgestellte hatte, wird es für die Familie leider nicht, in Deutschland Fuß zu fassen. Sie landen in Gemeinschaftsunterkünften, müssen sich in der deutschen Sprache und mit den deutschen Gepflogenheiten zurecht finden, und da Olas Eltern nicht arbeiten dürfen, ist das Geld immer viel zu knapp. Wird Ola mit ihrer Familie das große Glück in Deutschland finden oder war es doch ein Fehler, die Heimat zu verlassen?

Meine Meinung:
„Sitzen vier Polen im Auto“ kommt wie eine Autobiographie der Autorin Alexandra Tobor rüber, die jedoch darauf hinweist, dass es sich eben nicht um eine solche handelt. Dennoch ist davon auszugehen, dass viele Ereignisse von der Autorin tatsächlich erlebt wurden. Das macht die Sache nur lebendiger und anschaulicher, da sie von einer Beteiligten nacherzählt werden.

Das Buch ist aus Olas Perspektive geschrieben, und das sollte man einfach im Hinterkopf behalten, dass es sich um die Sichtweise eines Kindes handelt. Olas Sicht auf die Dinge ist herrlich erfrischend und oft urkomisch. Es wird viel mit Metaphern gearbeitet, die idR wirklich gelungen und witzig sind. Die Sprache ist sehr angenehm zu lesen, umgangssprachlich, eben aus dem Leben gegriffen, nicht gekünstelt und leicht verständlich. Dementsprechend kann man das Buch in einem Zug durchlesen. Mir fiel es schwer, es überhaupt aus der Hand zu legen. „Ach noch ein Kapitel... und noch eins...“, dachte ich mir immer, bevor ich es schweren Herzens (mangels Zeit) aus der Hand legte. Man will einfach zu gerne wissen, was die kleine Ola alles so erlebt, und es macht zu viel Spaß, um freiwillig mit der Lektüre aufzuhören. Und das schreibe ich jetzt nicht, um der Autorin Honig um den Mund zu schmieren, sondern weil ich das in letzter Zeit selten bei einem Buch erlebt habe und es nunmal die Wahrheit ist. ;-) Sicherlich spielt hierbei auch eine Rolle, dass ich ungefähr zur gleichen Zeit wie Ola geboren wurde, nur eben in Deutschland, und es ist hochinteressant, wie Ola die Dinge, die für mich selbstverständlich waren, aus ihrer Situation heraus empfindet und Gegenstände vergöttert, die für mich zum Alltag dazugehörten (z. B. Coca Cola oder Barbiepuppen). Es ist ein kleiner Ausflug in die eigene Kindheit, nur eben aus der Perspektive eines Kindes, das meine Selbstverständlichkeiten als etwas Großes empfand.

Die Figuren sind allesamt liebenswert. Ola ist einem von Anfang an sympathisch. Auch ihre Eltern mochte ich sofort. Sie sind liebevoll, höflich und bemühen sich in Deutschland sehr, alles richtig zu machen und ihren Kindern ein gutes Leben zu bieten. Überhaupt finde ich es schön, wie sehr sich Olas Familie bemüht, sich zu integrieren. Zu keiner Zeit sondern sie sich ab, sie wollen dazugehören und arbeiten dafür sehr hart, lernen sofort die Sprache und kämpfen darum, dass der Vater arbeiten darf. Sie machen das Beste aus ihrer Situation und jammern nicht, dass es „nur“ für eine Unterkunft in einem großen Wohnheim gereicht hat und man auf Spenden angewiesen ist, sondern sie sind dankbar für alles.
Oma Greta ist einfach der Hammer! Sie erinnerte mich sehr an die fiese Oma aus „Malcom mittendrin“, nur mit dem Unterschied, dass Oma Greta auch ihre guten Seiten hat und für ihre Familie wie eine Löwin kämpft, wenn es sein muss. Anfangs verstand ich nicht, wieso Ola und Tomek ihre Großmutter so lieb haben, da sie immer sehr harsch und emotionslos, ja richtig kinderfeindlich rüberkommt, aber später, als sie plötzlich in Deutschland auftaucht, verstehe ich diese Zuneigung endlich auch als Außenstehende. Auch die Nebencharaktere sind klasse, allen voran die Ogórkowas.

Ich hatte mich vor der Lektüre dieses Buches nie mit Polen beschäftigt, für mich ist das einfach ein exotisches Land gewesen. Von einer Freundin, die auch als Kleinkind nach Deutschland ausgewandert ist, wusste ich nur, dass die Eltern damals diesen Schritt getan hatten, weil man in Polen keinerlei Zugriff auf wichtige Lebensmittel und Konsumgüter hatte, z. B. Babynahrung. Diese Schilderung wird durch das Buch nur bestätigt. Es ist allerdings etwas schade, dass das Buch – willentlich oder nicht – ein sehr negatives Bild von Polen zeichnet. An dieser Stelle muss man aber auch wieder berücksichtigen, dass eben alles aus Olas Sicht geschildert wird und diese das eben so empfunden hat. Das muss ja nicht zwangsläufig heißen, dass Polen nicht sehenswert ist, außerdem spielt die Geschichte ja in den 80er Jahren und ich gehe davon aus, dass sich seitdem in dem Land einiges getan hat. Ich will damit nur sagen, dass das Buch nicht unbedingt bei mir Lust ausgelöst hat, mal nach Polen zu reisen. Schade.

Ein kurzes Wort noch zur Aufmachung: Das Buch ist im typischen Stil des ullstein-Verlages gehalten mit dem witzigen Titel und dem bunten, gemalten Bild auf dem beigen Hintergrund. Dadurch erkennt man ja diese „Kulturbücher“ im Stil von „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ – für Leute wie mich, die solche Bücher sehr gerne lesen, ein Hingucker und Grund genug, das Buch mal in die Hand zu nehmen und genauer hinzuschauen. Die Schrift ist angenehm groß. Auch der Preis von 9,99 € ist für ein Taschenbuch mit 268 Seiten angemessen.

Mein persönliches Fazit: Ich habe mich durch das Buch bombig unterhalten gefühlt, und darauf kommt es ja an! Deshalb ganz klar 5 von 5 Sternen.