Rezension

Tango und Mathematik

Drei Minuten mit der Wirklichkeit - Wolfram Fleischhauer

Drei Minuten mit der Wirklichkeit
von Wolfram Fleischhauer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Giulietta Battin lebte von klein an für den klassischen Tanz. Von Papa Makus gefördert, von Mutter Anita gebremst, sucht die 18-jährige nach ihrem Ballettschulenabschluss nach einem festen Engagement. Durch den Tanz lernt sie den 23-jährigen Argentinier Damian Alsina "el loco" – den Verrückten kennen – und lieben. Als sie eines abends ihren Vater gefesselt von Damian in ihrer Wohnung findet und Damian verschwunden ist, fliegt sie ihm nach Argentinien hinterher...

 

Wolfram Fleischhauer hat es von Beginn an geschafft mich in die Geschichte hinein zu ziehen und zu fesseln. Ich tauche ein in die mir bisher fremde Welt des Ballett und des Tango, sehe mich wie Giulietta an einem kleinen Marmortisch sitzen und zwei Tangotänzern, die eine Geschichte erzählen, beim Tanz zuschauen. Durch Damians Augen habe ich mein Deutschland aus seinem Blickwinkel sehen dürfen und es war spannend zu lesen, wie er uns und unser Land sieht.
 

Guilietta habe ich mit ihren Zweifeln und ihrer Suche nach sich selbst sofort ins Herz geschlossen. Ihrem Vater Markus haftet von Anfang an etwas Verstecktes an, das ich nicht reifen kann. Im Verlauf der Geschichte wird mir zu ihm alles viel klarer. Aber erst die vielen anderen handelnden Personen, mögen sie auch noch so unbedeutend scheinen, machen die Geschichte richtig rund und vollkommen. Das habe ich bisher selten in einem Buch so gespürt.
 

Ich darf mit Guilietta nach Argentinien reisen und erfahre Vieles über die jüngere Geschichte des Landes, über die Beziehung zwischen Deutschland und Argentinien, über die Militärdiktatur. Und es macht mich wütend und ich bin entsetzt wenn ich lese, was sie mit den Menschen gemacht hat.

Der Autor fängt die Atmosphäre in Buenos Aires mit präzisen Worten so gekonnt ein, dass ich mit den Bildern, die er in meinem Kopf entstehen lässt, direkt in einem der Tangolokale dabei bin. Es gibt so viele Gesetze, Codes und Rituale in Argentinien, die den Tango betreffen und es war für mich sehr interessant, einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können.

 

Wolfram Fleischhauer, der virtuos mit Worten jongliert, erzählt nicht nur eine Liebesgeschichte, gibt Einblicke in einen Politthriller, die Geschichte des Tangos und in eine etwas verworrene Familiengeschichte. Er verwebt alles zu einem kunstvollen, intensiven Gesamtbild.

 

Dies ist die Geschichte einer jungen Frau, die auf der Suche nach sich selbst etwas verliert und vieles gewinnt, und die mir sehr angeregte Lesestunden beschert hat.