Rezension

Tatort Mülheim an der Ruhr, 1953

Endstation Heißen
von Monika Detering Horst-Dieter Radke

Bewertet mit 4 Sternen

„Als Mann haben Sie ja keine Vorstellung, wie das ist, von sonnem Ferkel angegrabscht zu werden. Erst fummeln, dann kommt die Vergewaltigung … Ham wer doch genuch gehabt. Und von da ist es zum Morden auch nicht weit … Ich fühl dat, die Anna Puff hat nen sechsten Sinn, falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten.“

Mülheim an der Ruhr, 1953. Das Straßenbahnfahren ist derzeit für die Frauen der Stadt kein reines Vergnügen. Der „Straßenbahngrabscher“, wie er genannt wird, belästigt vor allem in den Abendstunden allein fahrende Frauen. Und nun gab es auch noch eine Vergewaltigung in Heißen. Das Opfer wurde „aus der Straßenbahn geworfen und übelst zugerichtet“. Trotzdem fährt Kriminalinspektor Alfred Poggel entspannt in den Urlaub. Schließlich ist der „Grabscher“ ein Fall für die Sitte und nicht für ihn. Zurück in Mülheim muss er aber leider feststellen, dass seine Zimmerwirtin Anna Puff Recht hatte, denn nun findet man in Heißen die erste ermordete Frau. Und es wird nicht die letzte bleiben…

 

An diesem Krimi hatte ich viel Spaß! Alles, was man sich von einem historischen Regionalkrimi erhofft, konnte ich in diesem Buch finden. Die eigentliche Krimihandlung ist solide und führt über diverse Irrwege und falsche Verdächtigungen letztlich zum Täter. Alles natürlich unter – aus heutiger Zeit – erschwerten Bedingungen. Von Dingen wie „DNA-Abgleichen“ wird noch nicht mal geträumt. Die Realität findet für die Mordkommission zu einem nicht unerheblichen Teil hinter staubigen Aktenbergen statt. Und wenn man zum Außeneinsatz fahren möchte, kann man nur hoffen, dass der Dienst-Käfer oder die Dienst-Horex nicht schon besetzt sind. Sonst bleibt nämlich nur das Dienst-Fahrrad!

 

Daneben gibt es viel Zeitgeschichte und Lokalkolorit. Die Luft ist schwarz von der allgegenwärtigen Kohle. Der Begriff „Etagentoilette“ ist vielen nur zu gut bekannt, „Mann“ geht nach der Schicht in die Kneipe wohingegen „Frau“ mit Kittelschürzenuniform den Haushalt versorgt. Überhaupt ist die Rolle der Frau ein Thema, das in diesem Buch immer wieder aufkommt. Das tausendjährige Reich ist zwar vorbei, das dazugehörige Frauenbild aber immer noch in vielen Köpfen. Selbst bei solchen Männern, die sich klar vom Nationalsozialismus distanzieren. An dieser Stelle muss auch Poggel sich schwer an die eigene Nase fassen, denn der jungen Kollegin in seiner Abteilung traut er rein gar nichts zu und schikaniert sie fortwährend. Aber alle Freunde von Poggel können beruhigt sein: Der Mann ist zum Glück lernfähig!

 

Lokalkolorit gibt’s auch in Sachen Sprache. Während Poggel und seine Kollegen (und Kollegin) hochdeutsch sprechen, spricht der „einfache“ Bürger oder Arbeiter Ruhrdeutsch. Ich bin selbst in diesem sprachlichen Umfeld groß geworden und kann mich über das geschriebene Ruhrdeutsch köstlich amüsieren. An der ein oder anderen Stelle hab ich mich gefragt, ob ein „Nicht-Ruhri“ die Übersetzung wohl vollständig hinbekommt, aber ich denke, dass sich der Sinn doch aus dem Zusammenhang ergibt.

 

Dies ist der zweite Fall für Alfred Poggel nach „Blütenreine Weste“. Weitere Mülheim Krimis sind geplant. Zum Verständnis ist die Kenntnis des ersten Bandes nicht unbedingt erforderlich.

Kommentare

Manu66 kommentierte am 06. Juni 2014 um 21:49

P.S. Allerdings kann das Ende dafür sorgen, dass man unbedingt den (hoffentlich bald erscheinenden) Folgeband lesen will ;-)