Rezension

Tiefgang

Der Wind singt unser Lied -

Der Wind singt unser Lied
von Meike Werkmeister

Bewertet mit 5 Sternen

Modern, hoch aktuell, wichtige Lektüre für die Beziehungspflege

"Der Wind singt unser Lied" ist der erste Roman von Meike Werkmeister (Name=Motto!), den ich auf Empfehlung las.

Bei der ersten Hälfte des Buches dachte ich zunächst, dass ich es persönlich für übertrieben halte, dass so manches Werk auf Spiegel-Bestseller-Listen landet, beschlich mich doch das Gefühl, ich hätte thematisch und strukturell eine Mischung aus Rosamunde-Pilcher und Hera Lindt vor mir.

Doch das Buch der Autorin ist alles andere als seicht, spätestens ab Mitte Buch konnte auch ich es nicht mehr aus der Hand legen.

Wie gefühlvoll und authentisch Werkmeister Emotionen und Beziehungen beschreibt, und davon gibt es eine ganze Menge in diesen Buch, lies in mir die Vermutung aufkeimen, dass man solches umöglich zustande bringt, wenn man es nicht selbst am eigenen Leib schon erlebt hat!

Besonders bewegt haben mich zwei Szenen:

Das Zusammentreffen von Toni und ihrer Mutter an ihrem 33sten Geburtstag, bei dem ihre Mutter mit einer Torte mit nur einer Kerze aufwartet, nachdem die beiden sich an Tonis 15 vorhergegangenen Geburtstagen nicht gesehen hatten und Toni an dem trügerischen Gefühl nagte, sie sei ihrer Mutter nicht so wichtig (S. 336 ff). Hier handelt es sich auf gewisse Art und Weise auch um einen "Pubertäts-Ratgeber". Es braucht im Leben alles seine Zeit, es braucht Geduld und Spucke, Gelegenheiten, die man beim Schopf ergreift und vor allem Mut für Gespräche:

"Das hier war mein Hafen. Ich wusste es sehr wohl, dass ich hier sicher war. Es hatte nur ein bisschen [16 Jahre] gedauert, bis ich es annehmen konnte" (S. 348).

Tonis Mutter ist eine "coole Socke", wenn ich das hier mal so leger behaupten darf.

Eine weitere Szene mit Triggerpotential und davon gibt es noch weitere, ist der Zusammenprall der beiden Schwestern. (S. 312 ff). Bei einem explosiven Konflikt, geht es um so viel mehr, als es dem Leser oberflächlich erscheinen mag. Es geht um Traumata, angestaute Gefühle, Emotionen, die einen Raum brauchen, damit es weitergehen kann, die herausgelassen werden müssen, um sehen und gesehen werden, um Empathie:

"Wie lange hatte sie schon die Gefühle in sich angestaut, dass sie derart explodierte?" (S.317).

In Werkmeisters Roman geht es um Minderwertigkeitskomplexe, um allgemeine Unsicherheiten, um die Positionen der Schwestern in der Familie, um Beziehungen, die sich erst entwickeln und/oder neu gestaltet werden müssen, um das sich am rechten Platz fühlen:

"Es gibt Menschen, die kommen heil und ganz auf die Welt. Wie du [gemeint ist Tonis Schwester]. Und andere, die sich von Anfang an etwas...na, halt zerbrochen fühlen" (S. 103 ff).

Es geht um Familiengeheimnisse und um Unaussprechliches:

"Es macht mich traurig, das zu sagen, aber über das, was uns wirklich bewegt, sprechen wir schon lange nicht mehr" (S. 196).

Und genau das gilt für viele Familien in der modernen Welt!

Es geht um Kommunikationsstörungen. Es geht um die Zerstörung der heilen Welt der Kinder, damit sie in die harte Realität der Erwachsenen hinüberrutschen:

"Mads [Tonis 6jähriger Neffe] heile Welt hatte erste Risse bekommen, auch wenn ihm das noch nicht ganz klar war" (S. 126).

Werkmeisters Schreibstil ist ansprechend, bisweilen auch humorig und metaphorisch. Sie nutzt "show, don't tell":

"Auf ihrem Kopfkissen konnte ich eine Mulde erkennen, die aussah, als ob jemand seine Hand darauf gelegt hätte" (S. 136).

Der Spruch: "Man muss die Hoffnung manchmal aufgeben, um weitermachen zu können", taucht an verschiedenen Stellen mehrmals auf (u.a. S. 310). Es scheint ein Motto zu sein. Loslassen, sich entfremden, um sich erneut annähern zu können,wenn die Zeit, die Protagonisten und auch die Leser reif dafür sind. Als Mutter einer Pubertierenden mit sporadisch komplizierter Familie fand ich mich mehr als einmal bei Werkmeister wieder.

Aus Sicht einer Linguistin seien noch folgende Anmerkungen erlaubt: Auch Bestsellerautoren sind Menschen und machen Fehler, so tauchen grammatikalische Fehler in der Verwendung der indirekten Rede auf. Der markierte Satzbau irritiert bisweilen ("dass meine Mutter ihm seit Jahren abzugewöhnen versuchte wegen der Cholesterinwerke" (S. 138) und die häufige Nutzung des Plusquamperfekts anstelle des leichtfüßigeren Präteritums, S. 139 ist hier exemplarisch, stört mich persönlich.

Werkmeisters Roman mag also als Sommerbuch bezeichnet werden,weil das die Jahreszeit ist, die aktuell vorherrscht, dies sollte aber auch der einzige Grund für eine solche Einordnung bleiben. Das Buch kann Therapie sein. Therapie für Protagonisten und Leser, die innere Transformationsprozesse ihrer liebgewonnenen Protagonisten automatisch mit durchlaufen.

Fazit:

Ich bin dankbar dafür, dass mir dieses Buch empfohlen wurde. Werkmeister kann derart gefühlvoll, plastisch, authentisch und dennoch unterhaltsam bis spannend wichtige Themen (be)schreiben, ohne in Kitsch abzudriften, dass ihr Buch keinesfalls oberflächlich "einfach so" konsumiert werden sollte. Eine moderne, hochaktuelle Lektüre vor schöner Kulisse.

Von mir erhält Werkmeister die volle Punktzahl!