Rezension

Tiefgründige Erzählung von der Liebe und vom Sterben

Madame Verona steigt den Hügel hinab - Dimitri Verhulst

Madame Verona steigt den Hügel hinab
von Dimitri Verhulst

Bewertet mit 5 Sternen

Die Bewohner von Oucwègne im französischsprachigen Teil Belgiens hatten schon immer eine bemerkenswerte Art, mit dem Unvermeidlichen umzugehen. Als es nicht mehr anders ging, suchte Monsieur Potier, der Mann der Madame Verona, wegen seiner Beschwerden die Tierärztin Madame Lunettte auf; denn einen Hausarzt gab es im Dorf schon lange nicht mehr. Potier weiß, dass er bald sterben wird, versorgt seine Frau mit einem unvorstellbar großen Vorrat an Brennholz, der Jahrzehnte reichen wird, und erhängt sich anschließend in seinem Garten an einem Baum. Nun hat die betagte Madame Verona das letzte Holzscheit verbraucht. Die alte Dame ist zur Gefangenen ihres Hauses geworden, das das Ehepaar damals bewusst auch für Zeiten plante, in denen einer von ihnen nicht glücklich sein würde. Madame Verona kann den Hügel zum Dorf noch ein letztes Mal hinunter gehen - zurück wird sie es nicht mehr schaffen und deshalb in der bitteren Kälte erfrieren.

Dimitri Verhulst (* 1972) hat eine kurze, symbolhafte und tiefgründige Erzählung über die Einsamkeit im Alter und das Sterben verfasst, die ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen habe. Die Geschichte zeigt mit subtilem Humor ein alterndes Dorf, in dem es für die knapp vierzig Einwohner noch nicht einmal einen Geldautomaten gibt, und beobachtet die Bewohner bei ihren jeweiligen Vermeidungsstrategien, sich mit dem Alter und der eigenen Endlichkeit auseinander zu setzen. Wie den Hügel, der verhindert, dass Madame Verona zum Einkaufen gehen und unter Menschen kommen kann, hat Verhulst jede Figur, jeden Gegenstand und sogar die Art, wie Madame Verona ihre Zeit misst, in ihrer Symbolik sehr bewusst gewählt. Verhulsts Erzählung kann auf ihre leichtfüßige, schwebende Art den Leser sehr nachhaltig treffen. "Madame Verona" ist eine wunderbare Geschichte zum Vorlesen, für Gesprächskreise, aber nicht unbedingt geeignet für Leser, die gerade Kontakt zu Sterbenden haben und die Handlung als zu makaber empfinden könnten.