Rezension

Tolles Hörbuch für Thriller Einsteiger*innen

Die Wälder - Melanie Raabe

Die Wälder
von Melanie Raabe

Bewertet mit 2.5 Sternen

Kommen wir zuerst zum Inhalt: Nina erfährt zu Beginn von Die Wälder, dass ihr bester Freund Tim überraschend verstorben ist. Er hat ihr einen letzten Auftrag hinterlassen: Nina soll Gloria wiederfinden, Tims Schwester die seit Jahen spurlos verschwunden ist. Damals gab es einen Verdächtigen, der aber nie überführt werden konnte. Doch so wie es aussieht, muss Nina diesen Fall nicht alleine lösen. Können Nina und ihre Mitstreiter die nötigen Beweise finden? 
Der Inhalt von Die Wälder klingt an sich ziemlich spannend. Allerdings gab es für mich recht schnell ein kleineres Problem: Wir bekommen mit, welchen Hass Nina und ihre Mitstreiter auf den Verdächtigen haben. Dieser Hass ist auch vollkommen nachvollziehbar und glaubhaft dargestellt. Allerdings wurde durch den Hass auch mein Thriller-Misstrauen geweckt. Aufgabe der Thriller Autor*innen ist es nicht nur, eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern auch mit der Wahrnehmung der Leser*innen zu spielen. Ich lauschte also misstrauisch der Geschichte und dachte mir: Ich verstehe, warum ihr den Verdächtigen nicht mögt, aber wollen wir ertmal schauen, ob er wirklich ein Verbrechen begangen hat. 
Einerseits freute ich mich, dass mich Melanie Raabe nicht in die Irre geführt hat. Normalerweise stehe ich bei Thrillern häufig auf dem Schlauch und bin am Ende der Geschichte völlig fasziniert davon, wie die Handlung entwirrt wird. Diesmal bin ich nicht auf die Täuschungen hereingefallen. 
Andererseits fand ich es auch etwas schade, dass ich recht früh einen richtigen Riecher hatte, weil für mich ein bisschen Spannung verloren ging. Dennoch glaube ich, dass Hörer*innen, die das Thriller Genre gerade erst für sich entdeckt haben, nicht so schnell auf die Lösung kommen. 
Was ich sehr faszinierend fand war, wie die Autorin die Handlungsstränge miteinander verbunden hat. Wir lernen Nina und ihre Mitstreiter kennen, die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Dann erleben wir auch eine Gruppe Kinder, die damals mitbekam, wie Gloria verschwand und sich natürlich fragt, was mit dem Mädchen passiert ist. 
Wir haben also zwei Zeitstränge, die das Geheimnis um Glorias Verschwinden aufklären sollen. Gerade der Handlungsstrang, in dem es um die Gruppe Kinder geht, hat mir sehr gut gefallen. Das lag vor allem an dem Charakter aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Immer wieder haben sich die Handlungsstränge gut ergänzt, oder endeten so, dass ich natürlich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Denn Details der Handlung konnte ich natürlich nicht erahnen. 
Obwohl mich die Wendung in der Handlung nicht überraschen konnte, fand ich die Charaktere in Die Wälder umso faszinierender. Nina und ihre Mitstreiter sind nach so vielen Jahren immer noch auf Rache aus. Der Hass gegenüber bestimmten Personen ist deutlich spürbar und es stellt sich die Frage, was sie bereit sind zu tun, um sich an ihrem Verdächtigen zu rächen. 
Auf der anderen Seite haben wir die Gruppe von vier Kindern, die glauben, Zeug*innen eines Verbrechens geworden zu sein. Sie müssen sich fragen, wem sie sich anvertrauen können und ob man ihnen überhaupt glauben wird. Schließlich sind sie ja nur Kinder. Der Junge aus dessen Sicht dieser Zeitstrang erzählt wird, hat zudem keinen leichten Stand im Dorf. Er gehört zu den Außenseitern und muss sich vor Feinden in Acht nehmen. Was ihn aber auszeichnet sind seine Empathie und seine Fantasie. Können ihm diese beiden Eigenschaften womöglich zum Verhängnis werden? 
Weiter geht es mit der Gestaltung des Hörbuches: Die Geschichte wurde leider als gekürzter Titel produziert. Ich war erst etwas misstrauisch, weil ich es mir unglaublich schwierig vorstelle, den Inhalt bei einem Thriller zu kürzen. Schließlich könnte jedes noch so kleine Detail wichtig sein. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass uns hier Handlung verloren ging. Allerdings hätte ich gerne noch mehr von der Geschichte gehört, weil ich die Atmosphäre von Die Wälder sehr stark fand. 
Melanie Raabe liest den Prolog von Die Wälder. Danach führt uns Anna Schudt durch die Geschichte. Sie fiel mir vor allem aufgrund ihrer Stimmfarbe auf, die in der Tendenz etwas älter klingt, als ich mir Protagonistin Nina vorgestellt habe. Dieses Detail hat mich zu Beginn etwas verwirrt. Anna Schudt brachte eine Härte in ihrer Interpretation mit, die es aber auch brauchte, um Ninas Hass zu transportieren und die Kälte mancher Charaktere herauszuarbeiten.
Wenn es Szenen gab, in denen emotional viel passierte, begeisterte mich Anna Schudt mit ihrer Interpretation, weil sie hier eine tolle Mischung aus passender Betonung und stimmiger Lesegeschwindigkeit einsetzt und somit die angespannte Atmosphäre aufgebaut und während der Szene gehalten werden kann.

Melanie Raabe überzeugte mich hier vor allem aufgrund ihres Schreibstils. Sie schafft es, eine düstere Atmosphäre aufzubauen und mich in ihren Bann zu ziehen. Durch ihre Art, die Geschichte zu erzählen, schaffte sie es, Spannung aufzubauen. Sie transportierte das Leid, das manche der Charaktere empfinden, glaubhaft und arbeitete die Motive der Charaktere gut hinaus. 
Durch ihre Dialoge und die Gedanken mancher Charaktere währenddessen, machte sie die Kluft deutlich, die zwischen einzelnen Charakteren herrschte. Melanie Raabes Schreibstil trug mich durch die Geschichte und ich hätte der Handlung mindestens noch zwei Stunden zuhören können. 
Gesamteindruck
Obwohl ich eine wesentliche Wendung in der Handlung früh erfasst habe, ist Die Wälder eine von meinen Lieblingsromanen der Autorin. Hier überzeugt sie mich vor allem mit tiefgründigen Charakteren und einer düsteren Atmosphäre, die es für einen guten Thriller braucht. 
Den Thriller kann ich vor allem denjenigen unter euch empfehlen, die das Genre neu für sich entdeckt haben.