Rezension

Totale Freiheit?

Zweiundzwanzig - Jean-Philippe Blondel

Zweiundzwanzig
von Jean-Philippe Blondel

Bewertet mit 5 Sternen

Emotional, sprachgewaltig und in seiner Nüchternheit wunderschön, hat mich dieses Buch sehr berührt!

Ich entscheide oft nach einer Leseprobe, ob ich ein Buch lesen möchte oder nicht. Die ersten Seiten dieses Buches haben mich so umgehauen, dass ich es unbedingt lesen wollte. Ich hatte schon nach wenigen Sätzen Tränen in den Augen. Aber nicht, weil der Autor auf die Tränendrüse gedrückt hat, sondern weil er mit wenigen Worten das Gefühlschaos beschrieben hat, das in ihm getobt haben muss. Sehr direkt, teilweise wirr und in seiner Nüchternheit wunderschön. Dazu ein unterschwelliger Galgenhumor, bei dem ich nicht wusste ob ich lachen oder den Kloß in meinem Hals weg schlucken sollte.

Der Autor beschreibt seine eigenen Erlebnisse mit einem Abstand von über zwanzig Jahren. Und er benutzt extrem kurze Sätze: "Totale Freiheit. Ist selten. Und teuer erkauft. Furchtbar teuer." (S.40) Solche Sätze sind Standard in diesem Buch und das ist nicht jedermanns Sache. Ich liebe es, wenn man mit wenigen Worten so viel ausdrücken kann. Das ist hier wirklich perfekt gelungen.

Und gerade weil der Autor seine Erlebnisse so distanziert beschreibt, ging es mir so sehr unter die Haut. Er gibt mir Einblicke in seine wunde Seele, lässt mich Teil haben an seiner Verwirrtheit, seiner Unentschlossenheit, an seinem Grau in Grau. Aber er macht nur Andeutungen, überlässt es mir, wie sehr ich mich darauf einlassen möchte. Auf dem Weg zu seinem „Ziel“ kommen immer wieder Erinnerungen hoch, Bruchstücke seines Lebens mit seiner Familie. Er ist der Hüter ihrer unvollendeten Geschichten … das ging mir durch und durch und die Last, die der junge Mann zu tragen hat, wird so deutlich.

Durch den kurzen und knappen Schreibstil habe ich viel Raum für meine eigenen Gedanken, Ideen und Emotionen. Der Autor kaut mir nicht alles bis ins kleinste Detail vor, sondern überlässt es mir, wie weit ich ins Detail gehen möchte. Ich bin nicht sicher, ob er das Buch für sich selbst geschrieben hat, um diese schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten oder ob er es auch ein bisschen für mich geschrieben hat, um mich zum Nachdenken anzuregen. Das hat er geschafft, denn es ist nicht unbedingt die tragische Geschichte, die der Autor erleben musste, die mich so berührt hat, sondern die knappen Aussagen, die mich nicht mehr los ließen.

 

Emotional, sprachgewaltig und in seiner Nüchternheit wunderschön, hat mich dieses Buch sehr berührt!